Liberalisierung

Skeptische Kettenfreunde

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Berlin -

Liberalisierung ist ihr gemeinsamer Nenner: Gesundheitsökonom Professor Dr. Eberhard Wille und Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands, setzen sich seit Jahren für eine Lockerung der Arzneimittelvertriebswege ein. Auf Apothekenketten oder eine Rx-Preisfreigabe hoffen sie in der aktuellen politischen Gemengelage zwar nur noch verhalten. Dafür könnten die Versandapotheken von der fortschreitenden Digitalisierung profitieren, äußerten beide in ihren Vorträgen beim Jahreskongress des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA).

Wille erinnerte an die Empfehlungen des Sachverständigenrates für das Gesundheitswesen, dessen Vize er ist. Eine der Kernforderungen sind preisindividuelle Handelsspannen für Apotheken – also die Aufhebung der Preisbindung und Einführung eines Rx-Preiswettbewerbs. Das zweite wichtige Ziel der „Gesundheitsweisen“ ist seit Jahren die Aufhebung des Fremdbesitzverbots für Apotheken sowie eine begrenzte Ausweitung des Mehrbesitzes. „Ich sehe aber beide Punkte nicht auf der politischen Agenda in absehbarer Zeit“, so Wille.

Er hofft deshalb, dass die Apotheken in die Primärversorgung besser eingebunden werden und im Rahmen des Medikationsmanagements eine Honorierung „im Rahmen von netzinternen Vereinbarungen“ erreichen. Wegen der Strukturkomponente und ihrer mengenorientierten Vergütung könnten die Apotheken von der Ausgabenentwicklung im Arzneimittelmarkt kaum profitieren. Doch die demografische Entwicklung gebe Anlass zur Hoffnung.

Knieps schloss sich den Forderungen des Sachverständigenrates an. Es müsse eine offene Diskussion geführt werden, wie viel Liberalisierung der Arzneimittelvertrieb benötigt. Er glaubt auch nicht, dass sich in Sachen Fremdbesitzverbot oder Preisbindung in dieser Legislaturperiode etwas tut. „Aber ich halte die Baustelle nicht für geschlossen.“ Nach der Bundestagswahl 2017 werden die Karten aus seiner Sicht neu gemischt. Ob dann etwa die Preisbindung fallen könnte, hänge von der politischen Konstellation ab.

Die Grünen haben sich Knieps zufolge schon immer für eine Liberalisierung ausgesprochen. Doch auch seine Partei sei gespalten. Es gebe in der SPD eine „mächtige Traditionsfraktion“ aber eben auch „Leute, die die Versorgung verbessern und sich über Vertriebskosten unterhalten wollen“, so Knieps. „Das ist ein harter Lobbykampf, der flächendeckend ausgetragen wird.“

Er gehe mit Professor Wille davon aus, dass sich Versandapotheken einen größeren Anteil am Markt holen könnten, wenn es zu einer zu einer weiteren Liberalisierung des Marktes komme. Der Vorteil sei, dass sich die Kommunikation zunehmend in den digitalen Raum verlagere. „Das wird nicht ohne Konsequenzen bleiben.“ Er sieht die Chance, dass gerade bei heiklen Indikationen Zugangsbarrieren abgebaut werden – Stichwort Telematik. Gleichzeitig warnte Knieps aber vor einem rechtsfreien Raum in der digitalen Wirtschaft und der Zerstörung inländischer Strukturen.

Knieps war in seiner Zeit als Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG) selbst an der Zulassung des Versandhandels im Jahr 2004 beteiligt. Der Widerstand der Apotheker sei damals enorm gewesen, teils mit berechtigten Einwänden, aber auch mit einer „Vielzahl von apokalyptischen Visionen, die wir glücklicherweise aus dem Gesundheitswesen gewöhnt sind“, so Knieps.

Er kritisierte jedoch, dass Rx-Boni „durch die Rechtsprechung traktiert und endgültig 2012 vom Bundesgerichtshof (BGH) untersagt wurden“. Dass der Gesetzgeber entsprechend nachlegte, sieht Knieps kritisch. „Als Jurist habe ich da so meine Zweifel, ob ein nationaler Gesetzgeber entscheiden kann, dass inländische Preisvorschriften auch für ausländische Anbieter gelten können.“

Er sei gespannt, ob dies einer Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) standhalten werde. Seine Hoffnungen, dass der EuGH zum Motor einer Modernisierung werden könnte, hätten sich in der Vergangenheit allerdings nicht bewahrheitet, so Knieps mit Blick auf das Luxemburger Urteil zum Fremdbesitzverbot. Überzeugt hätten ihn die Begründungen des EuGH „zur Rechtfertigung deutscher Restriktionen“ allerdings nicht.

Scharfe Kritik übte Knieps am Entwurf zum E-Health-Gesetz. Der Ausdruck eines Medikationsplans ist schlicht absurd. „Das ist gesundheitspolitisches Mittelalter“, so Knieps. „Dass uns Länder wie Österreich und Slowenien uns vormachen, wie es geht, ist ein Armutszeugnis.“ Er hofft, dass das Gesetz im parlamentarischen Verfahren noch überarbeitet wird und nicht in seiner derzeitigen Form beschlossen werde. Für die Apotheken wünscht er sich Reformen des Honorars, damit Beratungsleistungen von den Kassen finanziert würden.

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