Mehrere ärztliche Berufsverbände haben gemeinsam einen offenen Brief an Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) zur geplanten Apothekenreform verfasst. Darin äußern sie ihre Besorgnis über geplante Maßnahmen, die ihrer Ansicht nach die Patientensicherheit gefährden könnten.
„Apotheken sind eine tragende Säule der Gesundheitsversorgung in Deutschland“, leiten die Berufsverbände der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte (BVKJ), der Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Bundesärztekammer (BÄK), der Marburger Bund, der Hartmannbund, der Hausärztinnen- und Hausärzteverband, der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) und der Virchowbund das gemeinsame Schreiben ein. Sie sichern die wohnortnahe Abgabe von Arzneimitteln, beraten Patientinnen und Patienten mit hoher fachlicher Kompetenz und leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.
„Die ärztliche Profession weiß die Rolle der Apotheken als Partner, insbesondere bei Fragen der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS), sehr zu schätzen“, versichern die Verbände. Dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Maßnahmen zur Stärkung der Branche vorbereite, sei nachvollziehbar. „Wir unterstützen ausdrücklich Maßnahmen, die die wirtschaftliche Basis der Apotheken stabilisieren, die Fachkräftesicherung verbessern und Bürokratie abbauen“, erklären die Verbände. Auch eine Stärkung der ländlichen Apotheken, eine flexiblere Organisation der Notdienste sowie Entlastungen bei Retaxationen seien richtige und notwendige Schritte.
Mit großer Sorge blicken die Verbände aber auf den Vorschlag des BMG, Apotheken künftig mit Aufgaben zu betrauen, die bisher einer ärztlichen Qualifikation bedürfen. „Die vorgesehene Möglichkeit, verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgeben zu können – sei es bei Folgerezepten für chronisch erkrankte Menschen oder bei vermeintlich ‚unkomplizierten Erkrankungen‘ – überschreitet aus unserer Sicht eine rote Linie.“
Das bewährte Vier-Augen-Prinzip, bei dem Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren und verschreiben, Apothekerinnen und Apotheker prüfen und Arzneimittel abgeben, sei ein zentrales Qualitätsmerkmal der Patientenversorgung. „Wird dieses Prinzip aufgeweicht, drohen fehlerhafte und damit gefährliche Arzneimitteltherapien, eine riskante Fragmentierung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit“, warnen die Verbände. Eine Apothekerin oder ein Apotheker „am Tresen“ könne nicht zuverlässig erkennen, ob ein vermeintlich unkomplizierter Harnwegsinfekt nicht doch gerade einen komplizierten Verlauf nehme oder eine andere ernsthafte Erkrankung dahinterstecke. Apothekerinnen und Apotheker verfügten nicht über die notwendige fachliche Qualifikation, eine solche Einschätzung vorzunehmen.
Die Vorstellung, Arztpraxen würden auf diese Weise entlastet, greife aus Sicht der Verbände zudem ins Leere, während gleichzeitig die Koordinierungsfunktion der Ärztinnen und Ärzte im Rahmen eines einzuführenden Primärarztsystems konterkariert werde. Es würden so Doppelstrukturen entstehen, die mehr Bürokratie als Entlastung schafften. Gerade chronisch kranke Menschen profitierten von kontinuierlicher ärztlicher Begleitung bei der Arzneimittelverordnung. Nur so ließen sich notwendige Therapieanpassungen vornehmen sowie Komplikationen und riskante Wechselwirkungen frühzeitig erkennen und die Patientensicherheit gewährleisten, heißt es in dem Schreiben.
Auch die Ausweitung der Impf- und Diagnostikleistungen in Apotheken sehen die Verbände kritisch. So würden Grippe- und Corona-Schutzimpfungen derzeit in Apotheken in relevantem Umfang weder angeboten noch nachgefragt. Zudem würden Studien belegen, dass Impfquoten vor allem durch ärztliche Koordination und Begleitung steigen und nicht durch das Schaffen zusätzlicher Impfstellen. „Wenn alle verantwortlich sind, übernimmt schlussendlich keiner die Verantwortung“, so die Verbände. Die vorgeschlagenen Maßnahmen drohten, das ohnehin komplexe System weiter zu zersplittern, anstatt die Versorgung gezielt verbessern zu helfen.
„Aus ärztlicher Sicht sehen wir auch die Einführung von Früherkennungsuntersuchungen und Screeningtests in Apotheken mit großer Skepsis“, heißt es in dem Schreiben. Derartige Angebote erzeugten das Risiko einer Vielzahl falsch-positiver und nicht aussagekräftiger Befunde, mit dem Ergebnis großer Verunsicherung auf Patientenseite. Damit einher gehe laut der Verbände zudem ein erheblicher diagnostischer Nachbearbeitungsaufwand mit steigenden Kosten für das Gesundheitssystem und einer Belastung von wertvollen fachärztlichen Ressourcen.
Eine verantwortungsvolle Ausweitung solcher Leistungen müsse zwingend an den Nachweis geknüpft sein, dass die eingesetzten Verfahren einen klar belegten Nutzen für Patientinnen und Patienten haben sowie gesundheitsökonomisch sinnvoll sind. „Nur wenn Evidenz und Effizienzsteigerung im Gesamtsystem gegeben sind, rechtfertigt dies einen breiten Einsatz solcher Tests.“ Bisher würden wissenschaftliche Untersuchungen zu einer solchen Zweckmäßigkeit jedoch nicht vorliegen.
„Wir bitten Sie eindringlich, diese Pläne zu überdenken. Der Wille zur Stärkung der Apotheken darf nicht dazu führen, dass Aufgaben an Apotheken ausgelagert werden, die originär ärztliche Qualifikationen erfordern“, appellieren die Verbände. Arztpraxen und Apotheken seien Partner zum Wohle der Patientinnen und Patienten – „aber in klar definierten Rollen entsprechend ihrer Qualifikationen, die gemeinsam höchste Patientensicherheit und Versorgungsqualität gewährleisten“.
APOTHEKE ADHOC Debatte