Kommentar

Boykott ist relativ

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Vier Jahre lief die Hatz: Geschäftsräume wurden durchsucht, Bußgelder verhängt, Apothekerverbände angeprangert. Immer wieder - zuletzt Ende Juli - hat sich das Kartellamt öffentlich dafür gefeiert, die Apotheker für ihr Anti-Gehe-Bündnis bestraft zu haben. Nun wurden die Verfahren eingestellt. Ohne öffentliche Erklärung. Die Begründung der Wettbewerbshüter ist gelinde gesagt kreativ: Der 1,2 Millionen Euro schwere Boykottaufruf gegen Gehe ist seit gestern doch keiner mehr, weil Celesio im Mai 2009 keine DocMorris-Kette starten durfte.

Das Bundeskartellamt hat sich also bei der juristischen Bewertung von einer politischen Diskussion leiten lassen. Warum die Behörde das apothekenrechtliche Fremdbesitzverbot als Grundlage für ein wettbewerbsrechtliches Kartellververfahren nahm, bleibt ihr Geheimnis. Denn für den Tatbestand ist es unerheblich, ob im Laufe des Verfahrens die Motivation wegfällt. Ein Boykottaufruf gegen Gehe, so es ihn gab, wird doch nicht durch das EuGH-Urteil aufgehoben.

Die Begründung hat noch eine Schwachstelle auf der Zeitachse: Der EuGH hat das Fremdbesitzverbot im Mai 2009 bestätigt, das Kartellamt hat seine Bußgelder erst im Juli verhängt. Wenn der Boykottaufruf damit aus Sicht der Bonner Behörde obsolet wurde, hätte man sich mit den Strafbescheiden Zeit lassen können. Danach jedenfalls war von Eile nichts mehr zu spüren: Mehr als zwei Jahre lang stand die Vorverurteilung im Raum, ohne dass das Verfahren einem Gericht vorgelegt wurde.

Die Verknüpfung der beiden Sachverhalte schürt vielmehr den Verdacht, dass sich die Kartellwächter die Sichtweise des Pharmahändlers angeeignet hatten, inklusive dessen politischer und ökonomischer Ambitionen. Warum Celesio die Ermittlungsakten einsehen durfte, in denen unter anderem die Einkommensverhältnisse der Beschuldigten stehen, lässt sich mit dem Argument des Opferschutzes kaum begründen.

Dass die Verfahren jetzt heimlich, still und leise eingestellt werden, passt ins Bild: Das Kartellverfahren kann seine Schuldigkeit nicht mehr tun, eine rechtmäßige Verurteilung hätte nicht mehr das erhoffte Gewicht. Ein Schuldeingeständnis oder gar eine Entschuldigung für die unberechtigte Vorverurteilung fehlt. Nun muss man von einer Behörde auch keine menschlichen Regungen erwarten. Das Kartellamt hat sich in diesem Verfahren aber auch nicht immer wie eine Behörde benommen.

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