Kindheitserlebnisse

Traumata: Biochemischer Fingerabdruck

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Berlin -

Dass traumatische Erfahrungen in der Kindheit Auswirkungen auf die Gesundheit im Erwachsenenalter haben, ist bekannt. Wissenschaftler der Universität Ulm haben in enger Zusammenarbeit mit australischen Krebsforschern und Biotechnologen nun herausgefunden, dass bestimmte Stoffwechselprodukte im Blut auf negative kindliche Erlebnisse hinweisen und als Biomarker dienen könnten. Die Studienergebnisse wurden im Fachjournal „Scientific Reports“ publiziert.

„Wenn Kinder sexuell missbraucht oder emotional misshandelt, wenn sie geschlagen oder vernachlässigt werden, führt dies zu chronischen Stressbelastungen. Diese können in späteren Jahren nicht nur psychische Erkrankungen hervorrufen, sondern sind auch für den Körper sehr belastend. Denn sie erhöhen das Risiko für weitere Krankheiten wie Herzkreislauferkrankungen und Diabetes, insbesondere wenn nicht versucht wird, durch einen besonders gesunden Lebensstil entgegenzuwirken“, erklärt Dr. Alexander Karabatsiakis, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm.

Ein tiefergehender Einblick in die zugrunde liegenden biologischen Signalwege wäre von großer klinischer Relevanz für die Früherkennung und Intervention psychischer Erkrankungen, die in diesem Zusammenhang auftreten können. Die ungezielte Untersuchung aller Metaboliten in biologischen Proben, das sogenannte „Metabolom“, stellt einen vielversprechenden neuen Weg dar, um bisher unbekannte Stoffwechselwege zu identifizieren, die mit kindlichen Traumaerlebnissen assoziiert sind. Die Metabolomik ist die Wissenschaft des menschlichen Metaboloms, die die Summe von kleinen hydrophilen, amphiphilen und lipophilen bioaktiven Molekülen umfasst, die in Zellen, Geweben, Organen und biologischen Flüssigkeiten vorliegen und direkte Signaturen biochemischer Aktivität aufweisen.

Die Forscher haben nun untersucht, ob sich bestimmte Metabolite bei körperlich gesunden Erwachsenen identifizieren lassen, die als biochemischer Fingerabdruck einen Hinweis auf solche aversiven Kindheitserfahrungen geben könnten. Dazu analysierten sie mit laboranalytischen und biostatistischen Methoden die Blutproben von 105 jungen Müttern, darunter 59 mit und 46 ohne aversive Kindheitserfahrungen. Sie fanden heraus, dass sich der Spiegel acht spezieller Stoffwechselprodukte bei beiden Gruppen deutlich unterschied.

Diese Metabolite stehen in Verbindung mit dem zellulären Energiestoffwechsel sowie mit entzündlichen Prozessen und oxidativem Stress. Darunter waren sogenannte Phospholipide sowie PGH2-EA, eine Substanz aus der Endocannabinoidfamilie, oder auch Bilirubin Ixa, einem sehr potenten körpereigenen Antioxidanz. „Wir fanden eine ganz spezielle Biomarker-Signatur, die es ermöglicht, mit fast 90-prozentiger Genauigkeit in unserer Stichprobe festzustellen, ob diese Frauen als Kind misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt wurden“, erläutert Professor Dr. Iris-Tatjana Kolassa, Leiterin der Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm.

Ihrer Aussage zufolge könnten Psychotherapien noch im Erwachsenenalter dabei helfen, die gesundheitlichen Langzeitfolgen von belastenden Kindheitserfahrungen zu vermindern. Einen günstigen Effekt habe auch ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung und ausgewogener, am besten mediterraner Ernährung. Außerdem könnten regelmäßige Entspannung und ein Freundeskreis unterstützend wirken.

Es ist bereits bekannt, dass der Körper auf belastende Lebenserfahrungen mit vermehrt freien Radikalverbindungen reagiert. Diese führen in Form von oxidativem Stress zu Zellschäden. Außerdem gibt es Hinweise, dass sich der Energie- und der Phospholipid-Stoffwechsel verändert, und dass auch chronische Entzündungsprozesse häufiger auftreten. „Mit Hilfe des biomolekularen Fingerabdruckes, den wir gefunden haben, lassen sich in Zukunft möglicherweise weitere pathophysiologische Prozesse aufdecken, die für die langfristige Entstehung stressbedingter Erkrankungen verantwortlich sind“, sagt Alexandra König, Doktorandin in der Abteilung.

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