Gerinnungshemmer

Glaubenskrieg um Schlaganfall-Prophylaxe

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Berlin -

Neue orale Antikoagulanzien sollen die Cumarine in der Schlaganfallprophylaxe ablösen. Keine Wechselwirkungen, weniger Gerinnungskontrollen. Doch der Generationenwechsel verläuft alles andere als reibungslos: Während Bayer mit Xarelto (Rivaroxaban) und Pfizer/BMS mit Eliquis (Apixaban) noch auf die EU-Zulassung warten, kann Boehringer-Ingelheim seinen Vorsprung mit Pradaxa (Dabigatranetexilat) nicht nutzen. Berichte über Todesfälle bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung sorgen für Verunsicherung in der Öffentlichkeit.

Dabigatran ist ein Thrombin-Inhibitor, der überwiegend renal ausgeschieden wird. Bei Patienten mit schweren Niefenfunktionsstörungen ist der Gerinnungshemmer daher kontraindiziert. Seit 2008 ist Pradaxa als Thrombosevorsorge nach Operationen auf dem Markt; seit September ist das Präparat in Deutschland auch zur Vorbeugung von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern zugelassen. Die Herzrhythmusstörung bedeutet in vielen Fällen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko.

Ende Oktober musste Boehringer europaweit einen Rote-Hand-Brief verschicken und Ärzte auffordern, bei nierenkranken Patienten beziehungsweise Patienten im Alter von mehr als 75 Jahren regelmäßige Nierenfunktionstests durchzuführen. Bis dahin waren entsprechende Kontrollen nur aus der Kontraindikation implizit herauszulesen. Weltweit sind nach Medienberichten bislang 256 Patienten im zeitlichen Zusammenhang mit der Anwendung von Pradaxa an inneren Blutungen verstorben, vier davon in Deutschland.

Bei Boehringer sieht man trotzdem keinen Grund zur Besorgnis. Die Zahl der bisher gemeldeten Verdachtsfälle sei im Verhältnis deutlicher geringer als jene, die in der Zulassungsstudie erhoben wurde: Seit der Einführung 2008 liegt die Gesamtbehandlungsdauer bei insgesamt 410.000 Patientenjahren, wodurch sich eine Rate von 63 tödlichen Blutungen pro 100.000 Patientenjahren ergibt. „Diese Größenordnung haben wir eingeräumt. Sie liegt deutlich unter der Rate, die wir in der Zulassungsstudie gesehen haben“, sagt ein Konzernsprecher.

Nicht medizinisch, aber wirtschaftlich könnten die Meldungen trotzdem zum Problem werden. Denn Publikumsmedien wie die Zeit und der Spiegel haben ausführlich über die Todesfälle berichtet. Bei Boehringer fürchtet man, dass Patienten unnötig verunsichert werden könnten: „Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass Patienten in der Folge ein dringend benötigtes Medikament, das sie vor Schlaganfällen schützen soll, einfach absetzen“, so der Sprecher.

Bei den Faktor-Xa-Hemmern ergibt sich ein anderes Bild: Xarelto wird laut Bayer nach der Metabolisierung zur Hälfte renal ausgeschieden, Eliquis einem Pfizer-Sprecher zufolge sogar nur zu gut einem Viertel. Die Debatte um Pradaxa könnte also den beiden anderen Wirkstoffen zugute kommen. Bislang dürfen Xarelto und Eliquis in Europa nur zur Prävention venöser Thromboembolien nach Knie- oder Hüftgelenksoperationen eingesetzt werden. Ein positives Votum der EMA zur Schlaganfall-Prophylaxe liegt aber für das Bayer-Produkt bereits vor; in den USA darf das Produkt seit kurzem in der Prävention eingesetzt werden. Der Konzern hatte seine Produktionskapazitäten eigens ausgeweitet. Pfizer/BMS haben die Indikationserweiterung vor einigen Wochen bei der EMA beantragt.

 

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