Hochschulförderung

Pharmafirmen sponsern Unis

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Berlin -

Hochschulen in Deutschland sind auf Drittmittel angewiesen, deshalb werden auch Gelder von Unternehmen dankbar angenommen. Mehr als 1,3 Milliarden Euro fließen jedes Jahr aus der Wirtschaft an die Hochschulen – doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren, schreiben die „Tageszeitung“ (taz), die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland (TD) und die bundesweite Studierendenvertretung fzs. Sie fordern mehr Transparenz.

Das gemeinsame Internetportal „Hochschulwatch“ sammelt seit zwei Jahren Informationen zu Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft und stellt eine zunehmende Verflechtung fest. Insgesamt 10.000 Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen in Deutschland dokumentierte „Hochschulwatch“ bislang – darunter 900 Stiftungsprofessuren, zahlreiche Sponsoring-Verträge, geförderte Institute oder Forschungsaufträge.

An der Hochschule Kempten säßen beispielsweise sieben Vertreter von Unternehmen im Hochschulrat. Die Zahl der Stiftungsprofessuren habe sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Die meisten hat nach den taz-Recherchen die Universität München (56), vor Dresden (45), Erlangen-Nürnberg (40), Berlin (Humboldt-Uni, 37) und Bonn (32).

Für Unternehmen seien sie ein beliebtes Mittel, um darauf Einfluss zu nehmen, auf welchen Gebieten geforscht werde, kritisieren TD, taz und fzs. Auch Pharmafirmen sind dabei, besonders umtriebig ist Bayer. Zehn Stiftungsprofessuren finanziert der Hersteller, sechs davon in Bochum, darüber hinaus in Berlin, Bremen, Hannover und Köln. Vier eigene Vertreter hat der Konzern in Hochschulräten positioniert, darunter etwa seit 2008 Dr. Richard Pott, bis 2013 Vorstandsmitglied von Bayer, der dem Hochschulrat der Uni Köln vorsitzt.

An der Universität Tübingen sitzt Professor Dr. Andreas Busch im Hochschulrat. Seit 2007 leitet er für Bayer Healthcare den Bereich globale Pharmaforschung. Ex-Vorstand Professor Dr. Wolfgang Plischke sitzt im Hochschulrat der Universität Hohenheim und ist Honorarprofessor für Wirtschaftschemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bis 2014 war er bei Bayer verantwortlich für Technologie, Innovation und Nachhaltigkeit und betreute die Region Asien/Pazifik. Seit Juni 2014 ist er Aufsichtsratsvorsitzender bei Evotec.

Daneben bestehen Forschungskooperationen: So ist Bayer Förderer der TU Berlin; die Uni Köln unterstützt der Hersteller seit Jahren in der Krebsforschung mit – laut Zeit online – einem jährlichen, sechsstelligen Betrag. Offen gelegt ist der Forschungsvertrag bislang nicht. Daneben beteiligt sich der Konzern an der Finanzierung zahlreicher Deutschlandstipendien und vergibt weitere Zuwendungen.

Viele weitere deutsche und internationale Hersteller sind auf „Hochschulwatch“ gelistet, etwa Roche mit jeweils zwei Stiftungsprofessuren und Vertretern in Hochschulräten sowie Novartis mit drei Stiftungsprofessuren. An der Universität Tübingen etwa finanziert der Hersteller die Professur Experimentell-Klinische Gynäkoonkologie über fünf Jahre mit insgesamt 4,5 Millionen Euro. Pfizer hält zwei Stifungsprofessuren. An der Fachhochschule Lübeck leitet Dr. Erik Larsson von GlaxoSmithKline den Hochschulrat. Sanofi hat zwei Vertreter im Hochschulrat der Universität Marburg und hält drei Stiftungsprofessuren. Alle geben Zuwendungen an die Medizinische Hochschule Hannover (MHH).

Nach den jüngsten Zahlen von 2012 gaben die Hochschulen knapp 45 Milliarden Euro aus. 22,2 Milliarden Euro zahlten die Länder für die sogenannte Grundfinanzierung. 16,1 Milliarden Euro kamen von den Krankenkassen für die Versorgung an Unikliniken. Fast 6,8 Milliarden Euro stammten aus der Wirtschaft oder waren öffentliche Fördergelder (Drittmittel), ein Plus von 6,1 Prozent. Davon stammten 1,3 Milliarden Euro aus der gewerblichen Wirtschaft.

Drittmittelverträge von Hochschulen mit Förderern aus der Wirtschaft müssen in der Regel in Deutschland nicht veröffentlicht werden. Lediglich in Rheinland-Pfalz ist derzeit ein Transparenzgesetz geplant. Dortige Hochschulen müssen bald Informationen über Drittmittelgeber offenlegen. Die Transparenz von Sponsoringverträgen mit Hochschulen ist laut TD und taz in nur fünf Bundesländern sichergestellt. In Niedersachsen etwa seien Hochschulen neuerdings verpflichtet, fortlaufend Sponsoringberichte zu veröffentlichen.

Die Initiatoren von „Hochschulwatch“ fordern eine Veröffentlichungspflicht für alle Kooperationsverträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft und regelmäßige Sponsoringberichte aller Hochschulen. „Unabhängigkeit und Transparenz der Finanzströme sind ein hohes Gut der Wissenschaft“, sagt TD-Vorsitzende Edda Müller. Außerdem müssten Hochschulen Teil der Informationsfreiheitsgesetze sein. Der fzs warnt davor, dass Drittmittel die Hochschulen zu reinen Produzenten von Arbeitskräften degradieren, ein Studium bediene so immer mehr die Interessen eines bestimmten Unternehmens.

Auch in der Grünen-Fraktion regt sich Kritik: „Das Verhältnis zwischen Grund- und Drittmitteln im Wissenschaftssystem ist im letzten Jahrzehnt strukturell aus dem Lot geraten“, sagt Kai Gehring, Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung. Daher sei es dringend notwendig, die langfristige Grundfinanzierung der Hochschulen zu stärken und die Abhängigkeit von kurzfristigen Drittmitteln zu senken. Wissenschaft brauche Freiheit und Unabhängigkeit – eine gute Grundfinanzierung und adäquate Ausstattung seien dafür zwingende Voraussetzung.

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