Baden-Württemberg

Ärzte- und Modehaus statt Apotheke

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Berlin -

Seit 1909 liegt die Apotheke Dr. Kammerer an der Hauptstraße 1 im baden-württembergischen St. Blasien. Hervorgegangen ist sie aus der „Klosterapotheke“, die ihre Wurzeln wiederum im Benediktinerkloster St. Blasien aus dem 9. Jahrhundert hat – eine traditionsreiche Last. Seit sechs Jahren führt Alexander Dehm gemeinsam mit seiner im Ort aufgewachsenen Frau Katharina die Apotheke. Jetzt soll die Offizin weichen, weil das benachbarte Modehaus „Schmidt Arkaden“ anbauen will.

Die Klosterapotheke wurde bereits 1624 erwähnt. Nach der Säkularisierung kam die Apotheke 1813 erstmals in Privatbesitz, an Apotheker Josef Anton Romer, der 1829 das Großherzoglich-Badische „Real-Privileg“ erhielt. Dies ruht seither auf der Apotheke im heutigen Rathaus. 1851 übernahm der Sohn Karl Otto.

Nach mehreren Besitzerwechseln ging die Apotheke 1895 an Josef Berstel. Der Apotheker war auch Bürgermeister, starb aber im Alter von nur 37 Jahren. Seine Witwe verkaufte an den badischen Staat und baute an der Hauptstraße 1 ein neues Gebäude, „für dessen Fundamentierung fast 500 cbm Felsgestein weggesprengt werden mussten“, so die Unternehmensgeschichte. Dort ließ sie das Geschäft von einem Apotheker verwalten.

1909 kaufte Dr. Leon Kammerer die Apotheke. Er baute eine Zentralheizung ein, verlegte 1916 den Hauseingang und zog 1928 eine getäfelte Decke aus furniertem Eichenholz ein. Aus dieser Zeit stammt auch das bunte Glasfenster mit der Ansicht einer früheren Apotheke: „Mein Tränklein schafft ganz zauberhaft Euch frisches Blut und Lebenskraft“, steht darauf.

Nach Kammerers Tod 1948 führte erst seine Tochter Helene, ab 1954 ihr Bruder Alexander das Geschäft weiter. Er vergrößerte die Offizin um ein Drittel, verlegte das Labor und die Materialkammer und richtete im Kellergeschoss einen Spülraum für die Arbeitsgeräte ein. Er integrierte neue Spezialitätenschränke und baute einen großen Verkaufstisch sowie eine neue Rezeptur ein. 1959 folgten der pavillonartige Vorbau, ein vergrößerter Kundenraum und eine neue Fensterfront mit fünf Schaufenstern. 1985 starb Kammerer, Karin Gabriel übernahm, bis sie vor sechs Jahren in den Ruhestand ging.

Vor zwei Jahren verkauften die Enkel Kammerers das Gebäude an das Modehaus Schmidt. „Wir waren erst mal geschockt“, sagt Alexander Dehm. Alle bis dato geplanten Umbauten legte er auf Eis. Der neue Eigentümer will das Modehaus erweitern; das geht nur, wenn die Apotheke weicht, damit das Haus abgerissen werden kann. „Das hat einen Riesensturm in St. Blasien losgetreten, das Haus gehört historisch dazu.“ Die Kunden reagierten gemischt, teilweise hätten sie schockiert gefragt, wie lange Dehm noch da sei, oder wohin er gehe.

„Aber ohne unsere Einwilligung geht gar nichts“, sagt er. Er hat einen Mietvertrag für die nächsten 25 Jahre. Der Hausbesitzer hat ihm einen neuen Standort an einem nahe gelegenen Grundstück angeboten. Abgeneigt ist Dehm nicht: „Wir müssen in die Zukunft blicken und unseren Standort sichern. Das ist für uns auch eine Chance.“ Leute, die die Apotheke noch aus den 1950ern kennen würden, gebe es immer weniger, sagt er. Und junge Familien würden einen neuen Standort begrüßen. „Die haben jetzt kaum Möglichkeiten, mit einem Kinderwagen etwa nach oben zu kommen.“

Zwar koste ein Umzug viel Geld, im alten Haus zu bleiben aber auch: „Das Gebäude ist sehr alt – vieles ist veraltet. Wir haben einen gewissen Invesitionsstau.“ Im Eingangsbereich etwa seien sieben Stufen, von Barrierefreiheit also nicht zu sprechen. Zudem brauche er eine Feuerschutzwand im Labor, neue Schubsäulen und einen kleinen Komissionierer. „Die Apotheke ist so verwinkelt. Wir haben fünf Generalalphabete“, sagt Dehm – Homöopathika, Zäpfchen, Ampullen und Tabletten, alles liege wo anders. Mehr als 30.000 Euro habe er schon in den Beratungsbereich und Freiwahlregale investiert; notwendig wären weitere 130.000 und 170.000 Euro, schätzt er.

Grundsätzlich sei er deshalb an dem Angebot interessiert und hat große Pläne: „Wir wollen für St. Blasien ein Ärztehaus etablieren.“ Der Modehausbesitzer unterstütze das Projekt. Derzeit ist Dehm im Gespräch mit einem Zahnarzt und einem Tierarzt. Auch ein Internist sei dabei, vielleicht auch eine Hautärztin. Jetzt würden noch ein Allgemeinarzt, ein Augenarzt, ein Kinderarzt und ein Frauenarzt gesucht. Es sei schwer, Fachkräfte aufs Land zu ziehen. Erst vor kurzem sei die Frauenärztin weg gezogen.

Zudem müsse das angebotene Alternativhaus erst noch gebaut werden. Dafür muss ein anderes – historisches – Haus abgerissen werden. Dem Betreiber – einem Verteilzentrum der Post – wurde bereits gekündigt, ein paar Monate dauere es aber noch.

Im neuen Haus würde auch die Apotheke einen neuen zentralen Standort finden. „Wenn alles glatt laufen würde, könnten wir in zwei Jahren umziehen“, so Dehm. „Klar sind viele da ein bisschen enttäuscht, dass das Historische wegfällt.“ Bei einem Umzug will er deshalb versuchen, alte Elemente aufzunehmen. „Wir wollen keine Hochglanzapotheke, die aussieht wie eine Drogerie. Da könnten wir unsere Stammkunden nicht hin schicken.“ Auch ein Bleiglasbild im Eingangsbereich von 1909 solle mitgenommen werden, ebenso wie ein paar alte schöne Schränke. „Ich überlege mir, was ich für später verwenden kann.“

Derzeit gebe es in der 7000-Einwohner-Stadt vier Allgemeinpraxen mit sieben Ärzten, einen Hals-Nasen-Ohrenarzt, zwei Zahnarztpraxen mit vier Zahnärzten und zwei Apotheken. Ein Ärztehaus wäre für alle eine Win-Win-Situation, sagt Dehm: Jede Verbesserung der Infrastruktur sei gut für die Versorgung und den Standort. So könne St. Blasien mit einem Ärztehaus als zentrale Stelle im Hochschwarzwald an Bedeutung gewinnen.

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