„Niemand außerhalb dieser Branche bemerkt, wie sehr das Privatleben leidet“

Schließung: Abschiedsrabatt für wütende Kunden

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Berlin -

Die Stadt-Apotheke im unterfränkischen Landkreis Kitzingen schließt Ende März – zum Unmut vieler Bürger, die in Prichsenstadt dankbar über die Arzneimittelversorgung vor Ort gewesen sind. Marion Flügel, Inhaberin von drei weiteren Apotheken, zieht ihre persönliche Notbremse und gibt zugunsten der Selbstfürsorge auf.

Nach einiger Zeit Erfahrung als PTA in der öffentlichen Apotheke entschied sich Flügel für das Studium der Pharmazie und erlangte 1998 ihre Approbation in Würzburg. Bis 2008 arbeitete sie als angestellte Apothekerin, bevor sie in Wiesentheid die heutige Haupt-Apotheke pachtete: die Marien-Apotheke. Die Pacht galt für zwei Jahre – anschließend kaufte Flügel 2010 den Betrieb.

Drei Jahre später folgte die Übernahme der Stadt-Apotheke in Prichsenstadt als Filiale. Im darauffolgenden 2014 wurde ihr die Pacht einer weiteren Apotheke angeboten: Der Inhaber der Kronen-Apotheke in Schweinfurt war verstorben, die Apotheke stand unter Verwaltung. Letztlich bereicherte die Inhaberin den Ort Schwarzach um die Arzneimittelversorgung vor Ort mit der Übernahme der Apotheke am Markt.

„Es hat immer Spaß gemacht, dort zu arbeiten“

Den auslaufenden Mietvertrag der Stadt-Apotheke kann Flügel nicht verlängern. Ihr Filialleiter, der etwa sechs Jahre für die Inhaberin gearbeitet hat, will sich beruflich verändern und hat gekündigt. Einen Ersatz für konnte Flügel seit August nicht finden. Im Januar machte sie der Öffentlichkeit bekannt, dass sie zu Ende März schließt. Es schmerzt die Inhaberin – ein Stück Herz hängt an ihrer ersten Filiale. Von außen ist die Apotheke eher unscheinbar, aber der winzig kleine Betrieb verfügt über ein hübsches und modernes Interieur. Neben dem approbierten Leiter arbeiten noch zwei PTA in Teilzeit in der Stadt-Apotheke. Eine von ihnen wird weiter für Flügel arbeiten, in der Marien-Apotheke in Wiesentheid.

15 Prozent zum Abschied

Der letzte Monat für die Stadt-Apotheke läuft. Flügel ist deshalb mit sehr viel Unmut, gar Wut seitens der früheren Kundinnen und Kunden konfrontiert. Der Ort droht beinahe auszusterben: kein Bäcker mehr, keine Gastwirtschaft hält die Küche nach 20 Uhr warm, es gibt keinen Mittagstisch mehr – und nun schließt auch noch die Apotheke. Für die Bewohner der Kleinstadt ist das unverständlich. Seien sie doch zum Teil extra dorthin gezogen und haben sich ein Haus gebaut in der Hoffnung, in einer gut strukturierteren Gegend zu wohnen.

Dabei ist die Schließung für Flügel rein wirtschaftlich gesehen längst überfällig. Nur drei Kilometer entfernt in Wiesentheid betreibt sie ihre Hauptapotheke. Dass sie ihre Kund:innen aus der Stadt-Apotheke nun künftig dort begrüßen darf, ist ihr ein großer Wunsch. Die angelegten Kundenkonten würden übertragen werden und es gibt zum Abschied auch noch eine Rabattaktion auf OTC-Ware und Freiwahl-Artikel: 15 Prozent gehen bis zum 31. März in Prichsenstadt vom Verkaufspreis ab. Flügel hofft, die Wogen damit etwas glätten zu können.

„Völlig an die Grenze gegangen“

Alle elf Tage haben drei Apotheken von Flügel Notdienst: Binnen sechs Tagen, mit jeweils einem Tag Pause dazwischen, wechseln sich die Pflichtbereitschaften ihrer Betriebe ab. Es folgt eine Woche Pause, bevor der Turnus von Neuem beginnt. In besonders unglücklichen Wochen fällt der Notdienst auf Freitag und Sonntag. Dann hat die Inhaberin keinen einzigen Tag Luft, bevor die Woche wieder von vorne losgeht. „Das ist persönlich nicht mehr zu machen.“

Hinzu kommt das Problem der Urlaubsvertretung, die wegen Mangels an Personal bereits im vergangenen Jahr unmöglich war und eine Teilschließung zur Folge hatte. „Meine Leistungsbereitschaft ist am Limit. Ich kapituliere vor der Situation des Fachkräftemangels.“ Sie hat keine Freizeit mehr. Eine Vereinsmitgliedschaft oder eine Kursbuchung seien nicht möglich, da immer irgendein Notdienst anstehe. Auch Familienfeste, Veranstaltungen oder Schulaufführungen hat die Apothekerin sausen lassen müssen. Der Beruf geht vor – das Privatleben steht hinten an. „Niemand außerhalb dieser Branche bemerkt, wie sehr das Privatleben leidet.“ Die Apothekerin hat zwei inzwischen erwachsene Söhne. Der jüngere wurde gerade eingeschult, als Flügel sich selbstständig machte. Aus ihnen sind keine Pharmazeuten geworden.

Heutzutage kann ich es keinem Kollegen verdenken, wenn er die Selbstständigkeit nicht ergreifen möchte.

Flügel sieht im Zusammenhang mit dem Apothekensterben die größten Schwierigkeiten in der zunehmend älter werdenden Gesellschaft: Ein Präparatewechsel, beispielsweise wegen Änderungen im Rabattvertrag, wird zum Teil kognitiv nicht gut verkraftet. Hier würden enorme Fehlerquellen entstehen, wenn tatsächlich niemand mehr da ist, der es persönlich erklärt. „Dann kommt nur noch Paketbote.“

Vor-Ort-Struktur kaputtgespart

„Eigentlich ist der Beruf toll. Ich würde es wieder machen – aber als Selbstständige:r lohnt es sich tatsächlich nicht mehr.“ Eine gute Perspektive hätten angestellte Apotheker:innen in öffentlichen Apotheken mit geregelten Arbeitszeiten und einem festen Einkommen. „Aber im Grunde sind die attraktivsten finanziellen Aussichten nur noch in der Industrie anzutreffen.“ Dies einfach so hinnehmen will die Inhaberin selbstverständlich nicht. Sie ist Mitglied in der Freien Apothekerschaft und der IG Med. Am 29. März wird sie daher in Berlin zum Protest vor Ort sein und die Aktion mit unterstützen.

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