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Wie 2015 hätte gewesen sein können

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Berlin -

Theodor Fontane durfte als „gelernter“ Apotheker das Schlusswort zum Perspektivpapier der ABDA sprechen. Von ihm stammt auch das Bonmot: „Zufall ist der gebräuchlichste Deckname des Schicksals.“ Das nehmen wir mal als Leitbild für den Wunsch-Rückblick des Jahres: Wie 2015 hätte sein können, wenn sich Zufall und Schicksal anders entschieden hätten.

Dann hätte sich der Verband der Frauenärzte öffentlich an die Seite der Pharmazeuten gestellt und gesagt, was viele Experten im März ohnehin sagten: Die „Pille danach“ wird nach der Entlassung aus der Rezeptpflicht nicht das gefährlichste OTC-Arzneimittel auf der Welt sein. Die Apotheker seien mit ihrem entwickelten Leitfaden gut vorbereitet und es bestehe kein Grund zur Sorge.

Weil die Apotheker auf Honorarforderungen für die Extra-Beratung verzichten, bekommen sie einen kleinen Zuschlag zum Notdienstfonds. Das passt im doppelten Sinne in die Zeit und so kann Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) das Versprechen der Vorgängerregierung einlösen und den Apothekern tatsächlich die versprochenen 120 Millionen Euro zukommen lassen. Das war nur der erste Honorarerfolg des Jahres.

Gröhes Kabinettskollege Sigmar Gabriel (SPD) will erst nicht mehr Geld herausrücken. Er hatte ein Gutachten zum Apothekenhonorar in Auftrag gegeben, um den Wert der pharmazeutischen Arbeit in Heller und Pfennig bemessen zu können. Ein erster Zwischenbericht zeigt dem Wirtschaftsminister jedoch, dass das aktuelle Fixhonorar von 8,35 Euro pro Packung um rund ein Drittel zu niedrig lag. Die Studie wird sofort abgebrochen, das Papier im tiefsten Keller des BMWi versteckt. Gabriel bietet den Apothekern eine Erhöhung auf 8,60 Euro pro Packung, die ABDA akzeptiert. Alle sind happy.

Richtig gemütlich wird es beim Deutschen Apothekertag (DAT): Gröhe hatte ein Ministertreffen und einen wichtigen Termin mit dem GKV-Spitzenverband abgesagt. Er kommt nach Düsseldorf und nimmt sich Zeit für die Apotheker: Seine fast zweistündige Lobeshymne auf den Berufsstand wird immer wieder von stehenden Ovationen unterbrochen. Der Gesamtvorstand der ABDA in der ersten Reihe hat Tränen der Rührung in den Augen.

Euphorisiert von der inhaltlichen Debatte sagt Gröhe auch noch das Neusser Stadtfest ab und blieb zur politischen Diskussionsrunde. Alle Parteien haben Vertreter geschickt, die SPD mit Hilde Mattheis, Dirk Heidenblut und Professor Dr. Karl Lauterbach sogar drei – als Ausgleich für vergangene Jahre. Die drei überbieten sich im Wechsel mit Gröhe und der gesundheitspolitischen Sprecherin der Union, Maria Michalk (CDU), den Apothekern ihre Wünsche zu erfüllen.

Maria Klein-Schmeink von den Grünen wirft ein, dass seien doch bloß wieder alles leere Versprechungen der Großen Koalition. Gröhe lässt das nicht auf sich sitzen. Er holt sein Handy aus dem Jackett und diktiert live und unter dem Jubel der Delegierten seiner Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) die neue Rolle der Apotheker beim Medikationsplan. Auf der anderen Seite der Leitung hört man Zähneknirschen, doch der Entwurf geht so durchs Kabinett, inklusive der Formulierung: „Das Medikationsmanagement gehört in die Hände der allerallerbesten Heilberufler, die der Apotheker!“

Damit war klar, dass jeder Patient Anspruch auf einen Medikationsplan hat, wenn er fünf oder mehr Arzneimittel einnimmt oder der Apotheker es so empfiehlt. Ärzte und Apotheker erstellen den Plan gemeinsam, beide bekommen dafür ein angemessenes Honorar. Doch das E-Health-Gesetz geht noch weiter, definiert eine vorgeschaltete Medikationsanalyse in der Apotheke. Diese wird ebenso vergütet wie das umfangreiche Medikationsmanagement, das Patienten bei Bedarf in Anspruch nehmen können.

Weil unerwünschte Wechselwirkungen bei derart umfangreicher pharmazeutischer Betreuung nicht mehr vorkommen, spart das Gesundheitssystem jährlich Milliarden. Gröhe reagiert noch kurz vor Weihnachten und hebt den Kassenabschlag ab 2016 auf. Der GKV-Spitzenverband stimmt zu. Plötzlich ist sogar L-Thyroxin flächendeckend und umfassend lieferbar.

Mit dem E-Health-Gesetz werden die Ärzte zudem verpflichtet, ihre Software endlich auf dem aktuellen Stand zu halten, und sie werden zum ordentlichen Verordnen gezwungen: Künftig haften sie selbst für Formfehler auf dem Rezept. Als sich die Kassenärzte dagegen wehren wollen, startet das BMG eine bundesweite Plakatkampagne mit den absurdesten Rezeptfehlern.

Das Retaxproblem hat sich im Laufe des Jahres ohnehin deutlich entschärft. Denn als die schlimmsten Retaxkassen anfangen, gezielt Rezepte von Kinderärzten zu retaxieren, holen die Apotheker zum Gegenschlag aus: Sie widersprechen jeder einzelnen Nullretaxation in Reimform und legen auf die Ablehnung so lange neue Fakten vor, bis die personell schon massiv aufgerüsteten Retaxstellen der Kassen vollends zusammenbrechen. Fristen verstreichen, Einsprüche gelten damit als anerkannt.

Gleichzeitig berichten Frontal21, NDR-Markt und PlusMinus über Versicherte, die wegen eines trivialen Fehlers auf dem Rezept zurück zur Praxis laufen müssen. Die Kassen verlieren weitere Mitglieder und mit den fehlenden Einnahmen aus dem Retaxgeschäft wird es gegen Weihnachten allmählich finanziell eng: Der neue Zusatzbeitrag für 2016 wird bekannt gegeben und niemand will mit den Retaxkassen fusionieren.

Irgendwann fällt die letzte Bastion der Krankenkasse: Das Bundessozialgericht (BSG) gibt der Klage eines Apothekers gegen eine Nullretaxation statt. Die Bestrafung durch die Kasse sei unverhältnismäßig, urteilen die Kasseler Richter. Im Anschluss reichen tausende Apotheker Klagen gegen ältere Nullretaxtionen ein. Zu Prozessen kommt es nicht mehr, die Kassen schließen mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) einen Vergleich.

Weil die Standesvertretung so viele unerwartete Erfolge eingefahren hat, wird von der Mitgliederversammlung der Kauf eines neuen Apothekerhauses erlaubt: Die Apotheker erwerben einen Teil des Hauptsitzes des GKV-Spitzenverbands, der sich verkleinern muss. Das Angebot ist ein absolutes Schnäppchen: 10.000 m² für 10 Millionen Euro, zentrale Lage, kaum genutzte Büroräume. Der Umzug geht an einem Tag reibungslos über die Bühne. Noch am selben Tag verkauft die ABDA das Mendelssohn-Palais: Die Lobbyorganisation der Zahnärzte kauft das alte Bankhaus für einen horrenden Betrag.

Mit den neuen Nachbarn kommen die Apotheker übrigens super aus. Missverständnisse und Vorurteile werden beim Willkommensumtrunk beigelegt. Das Schiedsverfahren zu Retaxationen kann noch am Abend eingestellt werden, die Einigung gelingt sogar ohne Dr. Rainer Hess. Formfehler werden künftig nicht mehr retaxiert, drei kommerzielle Rezeptprüffirmen melden zum Jahresende Insolvenz an. Dafür steigt die Zahl der Apotheken erstmals seit Jahren wieder.

Die Apotheker nutzen die frei gewordenen Kräfte, um die Qualität zu verbessern: Die Apothekerkammern Bayern und Niedersachsen führen wieder Testkäufe durch. Und siehe da: Jede Apotheke berät, stellt Rezepturen her und warnt vor Wechselwirkungen. Ungläubig setzt die Bundesapothekerkammer (BAK) eine bundesweite Testreihe auf, an der sich alle Kammern beteiligen. Ergebnis: 35.487 Tests, eine falsche Beratung (da war gerade ein Politiker zum Praktikum und wollte lustig sein). Stiftung Warentest zieht nach: „sehr gut“, keine Mängel, selbst die Versandapotheken haben ihre Kunden aktiv angerufen und beraten.

Nur bei ebay gibt es keine apothekenpflichtigen Arzneimittel mehr. Der Konzern hat endlich einen Weg gefunden, illegale Angebote sofort zu sperren. Und bei DocMorris gibt es keine Rx-Boni mehr. Nachdem das OLG Düsseldorf ein Verfahren in Luxemburg vorgelegt hatte, machte der Europäische Gerichtshof (EuGH) kurzen Prozess: Das Preisrecht sei Sache der deutschen Regierung, DocMorris müsse sich nicht daran halten – dürfe dann aber eben nicht nach Deutschland versenden.

Apropos Versandhandel: Nachdem auch dem Letzten klar war, dass die ausgelieferten Päckchen bei Hitze nie gekühlt oder vor Frost geschützt werden, wird die ganze leidige Debatte über die Temperaturführung beendet. Die Großhändler oder ihre Sub-Sub-Unternehmer müssen nicht Millionen in die Umrüstung ihrer Flotte stecken. Die Apotheker müssen das nicht über Umwege bezahlen.

Der Großhandel verständigt sich in der Folge darauf, keine neuen Gebühren mehr zu erfinden. Das Kartellamt ermittelt kurz wegen verbotener Absprache, stellt das Verfahren aber sofort wieder ein. Und noch ein anderes Verfahren wird eingestellt: Die Wettbewerbszentrale zieht ihre Klage gegen AEP zurück. Skonti und Rabatte bleiben in der gewohnten Höhe zulässig. Das wird auch im Entwurf zum Anti-Korruptionsgesetz noch einmal ganz explizit erwähnt, so dass alle beruhigt in den Weihnachtsurlaub gehen können.

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