Weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Preisbindung für ausländische Versender aufgehoben hat, fordert der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt „harte Fakten“: So lange nicht empirisch nachgewiesen wird, dass die Regelung die flächendeckende Versorgung sichert, kann es nach der Logik der Richter kein neues Verfahren geben. Eine aktuelle Studie zeigt, dass das Verbot von Rx-Boni tatsächlich die Apotheken vor Ort stärken kann.
Ist die Preisbindung geeignet, die flächendeckende Versorgung zu sichern? Das ist die entscheidende Fragestellung, die den BGH umtreibt. Bislang gebe es keine empirischen Daten, die den strengen Anforderungen des EuGH genügten, so die Richter in Karlsruhe in ihrem gestrigen Urteil. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte in einer Stellungnahme zwar vorgerechnet, dass Rabatte in der Größenordnung zwischen 3 und 5 Euro pro Packung zu Einbußen von 30 bis 60 Prozent des Ertrags führen könnten. Doch das war dem BGH zu wenig.
Bereits im Februar aber hatten Wirtschaftswissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen konkretere Zahlen vorgelegt. Die Forscher hatten im Rahmen eines Forschungsprojekts, das vom Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) und der Noweda unterstützt wird, untersucht, wie sich die Marktanteile als Folge von Rx-Boni verschieben – ohne dass diese noch Eingang in das BGH-Verfahren finden konnten.
Hintergrund für die Untersuchung ist das Verbot von Rx-Boni aus dem Jahr 2020: Damals war die Preisbindung mit dem Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) vom Arzneimittelgesetz (AMG) ins Sozialgesetzbuch (SGB V) überführt worden. Tatsächlich hatten sich die Versender danach zumindest eine Zeitlang an die Vorgabe gehalten, immerhin drohte ihnen der Ausschluss aus dem Rahmenvertrag.
Ausgewertet wurden für die Studie mit dem Titel „Evaluation of a Partial Ban of Rx-Rebates in Germany Using Difference-in-Differences“ die kompletten Abverkaufsdaten von knapp 5500 Apotheken, die wiederum aus einem Panel mit knapp 9200 Apotheken stammten. Die Daten wurden mit einem Szenario verglichen, in dem das Verbot als nicht existent betrachtet wurde.
Demnach konnten die Apotheken ihren Rx-Umsatz im Durchschnitt um 1,36 bis 1,65 Prozent steigern. „Da die Nachfrage nach verschreibungspflichtigen Medikamenten als preisunelastisch gilt, sollte ein Anstieg der Offline-Verkäufe einem Rückgang der Online-Verkäufe um denselben Betrag entsprechen“, schreiben die Forscher. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein erheblicher Teil der Verbraucher auf Preisunterschiede und Rabatte bei verschreibungspflichtigen Medikamenten reagiert, indem er den günstigeren Einzelhandelskanal wählt.“
Allerdings gebe es deutliche Unterschiede je nach Umsatzgröße der Apotheke: So seien die Effekte für die untersten sieben Dezile relativ ähnlich, während der Effekt in den drei höchsten Dezilen um etwa 40 bis 140 Prozent stärker sei. „Dies deutet darauf hin, dass größere Apotheken im Vergleich zu kleineren Apotheken überproportional vom Rabattverbot profitierten.“
„Wir schätzten die durch das Rabattverbot erzielten zusätzlichen jährlichen Gewinne für Apotheken im ersten und zehnten Dezil auf etwa 1360 Euro beziehungsweise 7690 Euro.“ Die Mehrheit der Apotheken verzeichnete aber nur einen geringen Gewinnanstieg, im Median von 3246 Euro.
Damit deuten die Ergebnisse laut den Forschern darauf hin, dass das Gesetz entgegen seinem erklärten Ziel, Apotheken, die vom Marktaustritt bedroht waren, nicht signifikant unterstützte: „Angesichts dieser relativ geringen Gewinne erscheint es unwahrscheinlich, dass die Maßnahme wesentliche Auswirkungen auf den Markt hatte. Dies wird durch die Entwicklungen in den Jahren 2021 bis 2023 bestätigt, als weitere 6,3 Prozent der Apotheken schlossen.“
Die grundsätzliche Lesart scheint aber dennoch eindeutig: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Preisunterschiede das Verbraucherverhalten beeinflussen“, so die Forscher. „Bei Preisunterschieden zwischen Online- und Offline-Kanälen gibt es einen statistisch und wirtschaftlich signifikanten Anteil der Verbraucher, der sich für die günstigere Option entscheidet.“
Diese Preissensibilität hat dem Autoren zufolge wichtige Auswirkungen auf politische Entscheidungsträger, die ein Netzwerk stationärer Apotheken mit einer bestimmten Dichte aufrechterhalten möchten. „Da Online-Apotheken, insbesondere solche mit Rabattangeboten, den Marktanteil traditioneller Apotheken kannibalisieren können, sollten politische Entscheidungsträger die potenziellen wirtschaftlichen Folgen des Preiswettbewerbs berücksichtigen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Preiswettbewerb Gewinne in Richtung stationärer Apotheken verlagert und so zur Erreichung dieser Ziele beiträgt.“
Die Einführung des VOASG allein reiche jedoch nicht aus, um den rückläufigen Trend der Apothekenzahlen in Deutschland umzukehren. „Andere strukturelle Faktoren (insbesondere die Vergütung der Apotheken) scheinen einen größeren Einfluss auf den Rückgang der stationären Apotheken zu haben als der Preiswettbewerb.“
Nicht berücksichtigt sind in der Studie allerdings die Marktverschiebungen seit Einführung des E-Rezepts, mit dem der Versandhandel dank massiver Werbekampagnen seine Rx-Umsätze seit Mitte vergangenen Jahres deutlich ausweiten konnte.
Die Ergebnisse der Studien ließen sich übrigens anhand der Geschäftszahlen der Versender spiegeln: Denn in der Folge des Bonusverbots waren deren Rx-Umsätze eingebrochen – und zwar bis ins vergangene Jahr hinein. Alleine bei Shop Apotheke hatte sich die Zahl von 220 Millionen Euro im Jahr 2020 auf 130 Millionen Euro im Jahr 2022 nahezu halbiert. In diesem Jahr will der Versender dank der Unterstützung von TV-Promi Günther Jauch die halbe Milliarde knacken.