Verblisterung

Kohl will mit Blistern für Berlin punkten

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Wie sollen Chroniker und multimorbide Patienten künftig mit Arzneimitteln versorgt werden? Viele Pflegeheime fordern, dass Apotheken die Medikamente für die Bewohner konfektioniert zur Verfügung stellen. Noch wird über den gesetzlichen Rahmen verhandelt. Die Verblisterung könnte neuen Anbietern die Tür zur Arzneimittelversorgung öffnen. Immer mehr Unternehmen drängen ins Geschäft. Während Blisterzentren von der jeweiligen Apotheke individuell beauftragt werden, will die Kohl-Tochter 7x4 Pharma bundesweit Patienten vom Standort Merzig aus versorgen.

Bei der industriellen Verblisterung verordnet der Arzt die 7x4-Box. Auch in Berlin wird der Wochenblister bereits getestet. 14 Apotheken sind dem Rahmenvertrag mit der AOK Nordost beigetreten. Sie versorgen rund 550 Patienten aus 21 Pflegeeinrichtungen.

Von Anfang an dabei ist die Neue Apotheke Wedding. Inhaberin Elke Weiß zieht 7x4 anderen Systemen vor. Denn hier sind die Arzneimittel lichtundurchlässig verblistert. Die Beschränkung auf 400 Präparate sieht die Apothekerin nicht als Nachteil: „Ich sehe den Vorteil der Verblisterung mit 7x4 darin, dass sie nicht unbedingt alles verblistern wollen“, sagt Weiß. „Sie wollen das verblistern, was Standard ist, was immer wieder gegeben wird und wo es keine Veränderungen gibt.“ Zudem sei das Personal haftungsrechtlich gut abgesichert: „Laut Gesetz haftet die Schwester als Abgebende grundsätzlich für Fehler. Bei dem Blister von 7x4 haftet jeder der Teilnehmer für das, was er tut. Das ist ganz wesentlich“, so Weiß.

Die Apotheke bestellt die Blister bei 7x4. Nach der Lieferung werden die Angaben zur Medikation kontrolliert. Hat sich die Medikation kurzfristig geändert, müssen die Blister geöffnet werden. Für ihre Arbeit erhalten die Apotheken im Pilotprojekt 2 Euro pro Patient und Woche als Aufwandsentschädigung.


Dass die Blister künftig an der Apotheke vorbei direkt an die Patienten geliefert werden könnten, befürchtet die Apothekerin nicht. „Das Szenario, dass 7x4 die alleinige Produktion und den alleinigen Vertrieb übernimmt, sehe ich als sehr gering an“, sagt Weiß. Denn der Aufwand vor Ort sei zu groß und zu arbeitsintensiv. Man müsse viel recherchieren und telefonieren, viele Rückfragen stellen, so Weiß. Ein Apotheker müsse die Wochenblister prüfen, weil es doch immer wieder zu Fehlern komme. „Die werden auch nie ausgemerzt sein. Denn solange es Änderungen gibt, werden auch Fehler da sein, man muss sich gegenseitig kontrollieren“, sagt Weiß.

Bei 7x4 versichert man, auch künftig nicht auf Apotheken verzichten zu wollen. Ihre Rolle sei zu wichtig. „Wir sind Lohnhersteller der Apotheke“, betonte Jörg Geller, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Kohl Medical. „Wir produzieren industrielle Arzneimittel. Wir sind keine Distributeure, deshalb geben wir Arzneimittel nicht an Pflegeheime und auch nicht an Patienten ab.“ Der Apotheker vor Ort werde für die Dienstleistung in den Heimen gebraucht, so Geller weiter. Der Apotheker werde bei Änderungen der Medikationen benötigt: „Das alles lässt sich nicht zentral regeln. Deshalb ist der Apotheker in diesem Prozess ein unverzichtbarer und sehr wichtiger Partner.“

Nach ersten Ergebnissen des Berliner Pilotprojekts können bei Heimpatienten rund 10 Prozent der Arzneimittelkosten gespart werden - denn die tablettengenaue Abrechung vermeidet Arzneimittelmüll. 7x4 drängt deshalb auf eine Änderung des gesetzlichen Rahmens. „Wir brauchen Lösungen, die es erlauben Einzeltabletten abzurechnen und entsprechend auch diese Einzeltabletten in den Morbi-RSA einfließen zu lassen“, sagte Geller. Welche Preise für die Tablettenabgabe und für die Versorgung bezahlt würden, müsse anschließend noch verhandelt werden.


Schon seit Mitte 2009 werden AOK-Heimbewohner in Berlin mit 7x4-Blistern versorgt. Die Krankenkasse will mit dem Modell Geld sparen: „Die AOK hat sich an dem Pilotprojekt beteiligt um eine pragmatische Vorrangehensweise voranzubringen, mit der geklärt werden soll, welche Effekte mit der patientenindividuellen Verblisterung verbunden sind“, sagte Harald Möhlmann, Geschäftsführer Versorgungsmanagement der AOK Nordost.

Die Zahl der Teilnehmer ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Die AOK denkt jetzt über eine Ausweitung des Projekts nach. „In Abhängigkeit von den Ergebnissen dieses Projektes werden wir zum einen sehen müssen, wie eine Ausdehnung auf weitere Pflegeeinrichtungen möglich ist“, so Möhlmann. Zudem müsse überlegt werden, wie Blister im ambulanten Bereich, etwa in der häuslichen Krankenpflege, eingesetzt werden könnten, und welches Potenzial mit Blistern erreichbar sei.

Im ambulanten Bereich schätzt die Kasse das Sparpotenzial höher als in den Heimen ein. Zudem soll untersucht werden, wie die Compliance verbessert und Krankenhausaufenthalte vermieden werden können. Dadurch sollen die Kosten weiter sinken. Doch Studien allein reichen nicht aus: Am Ende muss die Regierung überzeugt werden.

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