„Alles halb so schlimm, im Grunde nichts passiert.“ Vertreter von Kammern und Verbänden versuchen derzeit, die Aufregung um die Rx-Preisbindung runterzukochen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) betreffe nur die alte Regelung, an der aktuellen Rechtslage habe sich nichts geändert. Das ist juristisch kurzsichtig und politisch einfältig. Und schon in zwei Wochen könnte die Apothekerkammer Nordrhein die Folgen schmerzhaft zu spüren bekommen. Ein Kommentar von Patrick Hollstein.
In der verfassten Apothekerschaft besteht die Reaktion auf das BGH-Urteil derzeit darin, die Apothekerinnen und Apotheker zu beschwichtigen. Unglücklich, aber in der Sache irrelevant, so der Tenor: An der aktuellen Rechtslage habe sich nichts geändert, das Urteil betreffe längst zurückliegende Zusammenhänge und habe für den Status quo keine Bedeutung.
Das ist formal zwar korrekt, bringt die Apotheken aber kein Stück weiter. Denn die Versender gewähren nach wie vor Rx-Boni. DocMorris hat gerade ein neues Programm aufgelegt und geht mit bis zu 15 Euro pro Medikament in die Vollen. Bis diese Modelle vor dem BGH landen, wird es wohl noch Jahre dauern. So lange können die Versender mit ihren Werbepromis wie Günther Jauch weiter ungestört den Markt erobern.
Wo bleibt der Aufschrei? Das Verhalten der Standesvertreter lässt vermuten, dass es auch diesmal keinen Plan B gibt. Oder ist es nur die übliche Schlaumeierei gegenüber den Mitgliedern und der Versuch, die Deutungshoheit zurückzugewinnen?
Aus juristischer Sicht ist das Thema nicht zu Ende gedacht. Denn nur wenn die Überführung der Preisbindung ins Sozialrecht von vornherein als unantastbar gelten würde, könnte eine Prüfung analog zum jetzigen Verfahren entfallen. Der BGH hatte in der mündlichen Verhandlung aber bereits deutlich gemacht, dass er die aktuell geltende Preisbindung im Grunde unter derselben Prämisse betrachtet wie die alte. Auch dann müssten also „harte Fakten“ her, um ihre Vereinbarkeit mit EU-Recht zu rechtfertigen.
Die Strategie der Apothekerschaft müsste also darin bestehen, vom Worst Case auszugehen und endlich die Politik zum Handeln zu bewegen. Die Fakten, wie sie der BGH fordert, wird es nicht geben – oder jedenfalls erst dann, wenn noch mehr Inhaberinnen und Inhaber ihr Lebenswerk aufgegeben oder gar Insolvenz angemeldet haben. Abgesehen von den persönlichen Schicksalen der Betroffenen ist das keine Entwicklung, die man Patientinnen und Patienten und damit auch der Gesellschaft insgesamt zumuten kann.
Beschwichtigung ist vollkommen fehl am Platz. Wieder einmal war es nicht die eigene Standesvertretung, sondern das Lager von Großhandel und Pharmaindustrie, das die richtige Botschaft absetzte.
Und für alle diejenigen, die das BGH-Urteil für rein historisch halten: In zwei Wochen wird dasselbe Gericht über eine Schadenersatzklage von DocMorris gegen die Apothekerkammer Nordrhein entscheiden. 18 Millionen Euro fordert der Versender, weil die Kammer aus seiner Sicht zu Unrecht gegen die früheren Rabattmodelle vorgegangen ist. Der Fall lag schon zur Prüfung beim EuGH; nur zwei von fünf streitigen Fällen haben die Richter in Luxemburg im Februar abgeräumt, weil hier aus ihrer Sicht unzulässigerweise Gutscheine für OTC-Medikamente spendiert worden waren.
In den anderen drei Fällen hatte DocMorris schlichte Preisnachlässe gewährt – also genau jene Boni, die der BGH gestern für zulässig erklärt hat. Wenn die Richter nicht einen konkreten Schaden in Abrede stellen, könnte es für die Kammer, die sich seit Jahren an vorderster Front für die Interessen der Apothekerschaft einsetzt, teuer werden. „Irgendetwas bleibt in solchen Fällen immer hängen“, heißt es aus Anwaltskreisen. Aber hey, keine Panik auf der Titanic. Noch ist eigentlich gar nichts passiert.