Nebenraum als Präsenzapotheke

BGH: Entspricht DocMorris der Länderliste?

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Berlin -

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute in der mündlichen Verhandlung zur Schadenersatzforderung von DocMorris eine neue Hintertür aufgemacht: Aus Sicht des Vorsitzenden Richters hätte die Vorinstanz prüfen müssen, ob am Standort des Versenders in Heerlen eine Präsenzapotheke existiert. Anderenfalls seien die Kriterien der Länderliste nicht erfüllt.

Im Prozess ging es um Schadenersatzforderungen von DocMorris gegen die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR). Weil sie in fünf Fällen einstweilige Verfügungen erwirkt hatte, die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2016 zu Unrecht erlassen worden waren, soll die Kammer dem Versender 18 Millionen Euro zahlen.

Zwei Fälle hatte schon der EuGH im Vorlageverfahren abgeräumt, weil hier Gutscheine für spätere OTC-Käufe spendiert worden waren, was schon laut EU-Richtlinie unzulässig sei. Eine weitere Aktion war wohl unzulässig, weil der Rabatt unbestimmt war, was laut Heilmittelwerbegesetz (HWG) verboten ist. Und bezüglich eines vierten Falls äußerte heute der BGH Zweifel, weil auch hier ab einem bestimmten Preis kein Sofortrabatt, sondern ein Gutschein spendiert wurde. Damit bleibt ein Fall, in dem DocMorris einen Betrag in Höhe von 5 Euro vom Preis abgezogen hatte.

Länderliste als neues Thema

Bislang hatte der BGH im Verfahren nur auf die Zulässigkeit der Werbeaktion abgehoben und auch nur danach den EuGH befragt. Erstmals machte der Vorsitzende Richter Professor Dr. Thomas Koch heute aber ein neues Thema auf, indem er das Verbringungsverbot nach § 73 Arzneimittelgesetz (AMG) ins Spiel brachte. Demnach dürfen Arzneimittel aus dem Ausland nur von einer Versandapotheke verschickt werden, „welche für den Versandhandel nach ihrem nationalen Recht, soweit es dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht, oder nach dem deutschen Apothekengesetz befugt ist“. Entsprechend müssen die deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel eingehalten werden.

Die Apothekerkammer hatte in der Vorinstanz moniert, dass DocMorris keine Präsenzapotheke unterhalte, sondern lediglich einen kleinen Nebenraum, welcher für den normalen Publikumsverkehr faktisch nicht zugänglich sei und in dem so gut wie keine Medikamente erhältlich seien. Dieser Nebenraum erfülle aufgrund seiner spartanischen Ausstattung, des Fehlens eines ordnungsgemäßen Kassensystems und des eingeschränkten Produktangebots nicht die Anforderungen gemäß Länderliste.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) war diesem Vortrag nicht gefolgt – hatte sich laut BGH aber lediglich auf die Aussagen von DocMorris gestützt. „Wir sind nicht glücklich mit der Entscheidung des Berufungsgerichts“, so Koch. Denn im Zusammenhang mit den Vorgaben der Länderliste könnte dies entscheidend sein – womöglich ein Hinweis darauf, dass dies vom OLG noch einmal zu prüfen sein wird.

OLG gab DocMorris Recht

Allerdings war das Thema eigentlich ausführlich erörtert wurden. Das OLG hatte im Frühjahr 2022 der Schadenersatzforderung von DocMorris stattgegeben und hinsichtlich der Präsenzapotheke den Ausführungen geglaubt, dass es sowohl am vorherigen Standort jedenfalls seit 2012, als auch seit dem Umzug im Jahre 2015 am neuen Unternehmenssitz eine öffentliche Apotheke im Sinne einer Präsenzapotheke gegeben habe.

Laut OLG muss die Apotheke ledigilich nach niederländischem Recht registriert und so gestaltet sein, dass sie den in der Länderliste zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen einer Gleichwertigkeit gerecht wird. Da hier aber auf die in § 11a Satz 1 Nr. 1 Apothekengesetz (ApoG) enthaltene Erfordernis des Vertriebs „aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb“ verzichtet wurde, seien keine hohen Anforderungen an die Qualität der Ausstattung und die Größe der „gleichzeitig betriebenen“ Präsenzapotheke zu stellen. „Es reicht vielmehr jede in einem Geschäftslokal tatsächlich betriebene, öffentlich zugängliche – und nach niederländischem Recht zugelassene – Apotheke, in der Arzneimittel von jedermann direkt erworben werden können.“

Verwiesen wurde auf ein Verfahren vor dem Landgericht beziehungsweise Oberlandesgericht Frankfurt, das nach Durchführung einer Beweisaufnahme festgestellt habe, dass DocMorris eine Präsenzapotheke unterhielt. Dies habe die AKNR auch nicht substantiiert bestritten. Auch für den Zeitraum bis zum Standortwechsel im Jahre 2015 sei davon auszugehen, dass DocMorris eine Präsenzapotheke betrieb. „Dafür, dass die Klägerin diese Präsenzapotheke [...] in dem Zeitraum 2006-2015 aufgegeben oder eingeschränkt hat, gibt es keine Anhaltspunkte und solche sind auch von der Beklagten nicht vorgetragen worden.“

Neben der Erklärung des Justiziars von DocMorris wurde auch ein Foto ausgewertet, auf dem zu sehen war, dass ein separater Eingang zum Hauptgebäude existiert, der mit einem darüber angebrachten Hinweisschild auf die „Apotheek“ versehen war. Der Eingang sei von außen frei zugänglich; sofern argumentiert wurde, der Zugang liege auf dem Betriebsgelände und sei dem allgemeinen Publikum faktisch nicht möglich, stehe dies im Widerspruch zu Testkäufen, die die AKNR selbst durchgeführt habe.

Nebenraum als Apotheke

Dass die „Apotheek“ lediglich aus einem kleinen Nebenraum bestehe, dort nur eine beschränkte Auswahl von Arzneimitteln erworben werden könne und vor allem Mitarbeiter der Klägerin und Angestellte der umliegenden Unternehmen dort Arzneimittel kauften, stehe der Einordnung der Apotheke als „Präsenzapotheke“ nicht entgegen, so das OLG. Auch der Umstand, dass außerhalb des Betriebsgeländes kein Hinweis auf eine öffentliche Apotheke vorhanden sei, führe nicht dazu, dass die „Apotheek“ nicht die Anforderungen der Länderliste erfülle.

„Es ist ausreichend, dass die Apotheke in den Niederlanden registriert ist, sie öffentlich zugänglich ist und dort Arzneimittel von jedermann direkt erworben werden können“, so das OLG. Auch wenn davon auszugehen sei, dass DocMorris mit dem Betrieb der Präsenzapotheke nicht das Ziel verfolge, nennenswerten zusätzlichen Umsatz zur Versandapotheke zu erzielen, sondern die Apotheke jedenfalls hauptsächlich zu dem Zweck unterhalte, die in der Länderliste aufgestellten Voraussetzungen für den Versandhandel mit Medikamenten aus den Niederlanden nach Deutschland zu erfüllen, genüge das nicht, um den Betrieb der „Apotheek“ nicht ausreichen zu lassen. „Hätte der Gesetzgeber strengere Anforderungen an die Ausstattung und den Betrieb einer Präsenzapotheke im Sinne der Bekanntmachung aufstellen wollen, hätte er dies – z.B. unter Bezugnahme auf das Apothekengesetz – regeln können.“

Es handele sich auch nicht um eine sogenannte „Grensapotheke“, die ausschließlich Medikamente an Personen liefere, die in einem anderen EU-Staat lebten. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass DocMorris einer Genehmigung oder Erklärung der deutschen Aufsichtsbehörden zum Betrieb der „Präsenzapotheke“ in den Niederlanden bedürfe. „Der insoweit unsubstantiierte Vortrag der Beklagten ist von der Klägerin bestritten worden. Dafür ist nach dem zuvor Gesagten nichts ersichtlich.“

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