Fast alle Apotheken dicht

Streik: Apotheken legen Frankreich lahm

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Berlin -

Heute ist großer Protesttag in Frankreich. Neben Lehrkräften und Beschäftigten im Verkehrswesen gehen auch die Apotheken auf die Barrikaden. Laut einer Vorab-Umfrage der Fachzeitschrift „Le Moniteur des Pharmacies“ beteiligen sich 98 Prozent der rund 20.000 Offizinen am Streik.

Der 18. September ist ein landesweiter Streiktag in Franlreich. Nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa rechnen die Behörden mit 700.000 bis 800.000 Teilnehmenden. Im Bahnverkehr sind zahlreiche Ausfälle vorgesehen: Besonders betroffen sind Intercity- und Regionalzüge sowie der Nahverkehr in Paris. An Flughäfen und im Fernverkehr werden hingegen nur geringe Einschränkungen erwartet.

Neben Schulen bleiben vielerorts auch Apotheken geschlossen. In ganz Frankreich sind 84 lokale Kundgebungen der Pharmazeuten geplant. In Paris trafen sich die Teilnehmer am Hôtel des Invalides, bevor sie um 12 Uhr in einem Demonstrationszug zum Gesundheitsministerium zogen. Der geschäftsführende Innenminister Bruno Retailleau kündigte den Einsatz von 80.000 Sicherheitskräften an und sprach von möglichen Blockaden und Sabotageaktionen.

Aufgerufen zu den landesweiten Streiks hat ein breites Gewerkschaftsbündnis. Anlass sind Sparmaßnahmen der inzwischen zurückgetretenen Regierung, darunter der Vorschlag, zwei Feiertage zu streichen. Frankreichs neuer Premierminister Sébastien Lecornu erklärte, diesen Plan nicht umzusetzen. Kritik gibt es aber weiterhin an weiteren Kürzungen, die die Gewerkschaften als brutal einstufen. Mit dem Protest soll auch Druck auf Lecornu ausgeübt werden, der über einen neuen Sparhaushalt berät.

Foto: Apothekenprotest am 18.9.25 in Paris.
Auch in der Hauptstadt Paris gingen Apothekenteams auf die Straße. Großgeschrieben: „L'État veut fermer votre pharmacie" (Der Staat will Ihre Apotheke schließen). Darunter ein kleinerer Text: "Non à la fermeture des pharmacies. Les patients ont besoin de leur pharmacie." (Nein zur Schließung von Apotheken. Die Patienten brauchen ihre Apotheke.)Foto: Union des Syndicats de Pharmaciens d’Officine Paris

Apotheken gehen auf die Barrikaden

Im Vorfeld zum Protesttag in Frankreich wurde dieser Tag in den Medien bereits als „Journée de fermeture nationale des pharmacies“ (Tag der landesweiten Apothekenschließungen) bezeichnet, oft auch als „Journée noire pour les officines“ (Schwarzer Tag für die Apotheken).

Und tatsächlich: Laut einer Umfrage der beiden großen Apothekerverbände Union des syndicats de pharmaciens d’officine (USPO) und Fédération des syndicats pharmaceutiques de France (FSPF) wollten 98 Prozent der Apotheken in Frankreich am Streik teilnehmen. Über die Ergebnisse berichtete die Onlineausgabe von „Le Moniteur des Pharmacies“, einer französischen Fachzeitschrift, die als Referenzmedium für Vor-Ort-Apotheken gilt.

Die Umfrage wurde von 1400 Apothekeninhaber:innen beantwortet. 35 Prozent der Befragten sind keine Mitglieder eines Verbandes. Mehr als die Hälfte kündigte zudem an, sich an Kundgebungen zu beteiligen.

Geplant sind Demonstrationen in über 75 Städten. Für die Versorgung am Streiktag haben die regionalen Gesundheitsagenturen Notdienste eingerichtet, die wie an Sonn- und Feiertagen arbeiten, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Foto: Apothekenprotest am 18.9.25 in Valence, Frankreich
In Valence protestierten die Apothekenteams gemeinsam mit den Physiotherapeut:innen, v.r.: „L'industrie siphonne la sécu“ (Die Industrie saugt die Sozialversicherung aus). „Pharmacies menacées la fin des soins de proximité“ (Apotheken bedroht, das Ende der wohnortnahen Versorgung). „Kinés bradés qualité sacrifiée“ (Physiotherapeuten unter Wert verkauft, Qualität geopfert). „FFMKF Fédération Française des Masseurs-Kinésithérapeutes Rééducateurs“ (Französischer Verband der Physiotherapeuten und Rehabilitationsfachkräfte)Foto: Union des Syndicats de Pharmaciens d’Officine Paris

Auslöser des Streiks: Preissenkungen und Rabattgrenzen

Auslöser des Apothekenstreiks sind zwei Maßnahmen der Regierung. Ein Erlass vom 4. August 2025 legt die maximalen Rabatte fest, die Apotheken beim Einkauf von Medikamenten gewähren dürfen: 30 Prozent für Generika und 15 Prozent für Biosimilars.

Diese Regelung trat am 1. September 2025 in Kraft und wurde im Journal officiel de la République française, dem offiziellen Amtsblatt Frankreichs, veröffentlicht. Damit wurde der Erlass rechtsverbindlich, da neue Gesetze, Verordnungen und Erlasse in Frankreich erst durch die Veröffentlichung im Journal officiel in Kraft treten.

Zudem ist vorgesehen, dass die Rabattobergrenzen bis Juli 2027 stufenweise auf 20 Prozent für beide Kategorien reduziert werden. Der Erlass ist Teil der Gesetzgebung zur Finanzierung der sozialen Sicherheit (Loi de Financement de la Sécurité Sociale 2025) und dient der Regulierung der Preisgestaltung von Generika und Biosimilars.

Hinzu kommt eine Entscheidung des Comité économique des produits de santé (CEPS), einer französischen Behörde, die die Preise von erstattungsfähigen Medikamenten reguliert. Ab dem 1. Oktober 2025 sollen die Preise von 53 Generikagruppen sowie mehreren Originalpräparaten gesenkt werden. Beide Maßnahmen zusammen verringern die Einkaufsvorteile und Handelsspannen, von denen Apotheken in hohem Maße abhängig sind, insbesondere kleinere Apotheken. Die Umsetzung wird von den regionalen Gesundheitsbehörden überwacht.

Streik als „Überlebensnotwendigkeit“ für Apotheken

Getragen wird der Streik von USPO und FSPF, den beiden mitgliederstärksten Standesorganisationen der Apothekeninhaber. Guillaume Racle, Vorstandsmitglied der USPO, bezeichnete den Streik als „Reaktion der Überlebensnotwendigkeit“. Pierre-Olivier Variot, Präsident der USPO, warnte, das Apothekennetz werde unter den Maßnahmen „bluten“.

Auch die FSPF kritisierte die Maßnahmen scharf. Yorick Berger, Mitglied des FSPF-Vorstands, sprach von einer „doppelten Strafe für die Offizin“ und einem „massacre programmé“ für kleine Apotheken. Philippe Besset, Präsident der FSPF, erklärte, dass täglich bereits eine Apotheke in Frankreich schließe, und forderte Premierminister Sébastien Lecornu auf, das Dekret auszusetzen oder zurückzunehmen: „Ich gebe mir eine Woche, um seine Reaktion zu analysieren. Aber wenn sich nichts ändert, wird die Wut nicht abebben.“

Laut „Le Moniteur des Pharmacies“ erklärte die Regierung, dass die Maßnahmen notwendig seien, um die steigenden Gesundheitskosten zu kontrollieren und den Zugang zu Arzneimitteln langfristig zu sichern. Apotheker sehen vor allem kleine Apotheken durch die Maßnahmen wirtschaftlich stark belastet. Der Streik wird als Versuch verstanden, auf diese Situation aufmerksam zu machen und politische Entscheidungen zu ändern.

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