Showroom in Mailand

Amazon-Parafarmacia: Mehr Schein als Sein

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Berlin -

Der Einstieg von dm in den OTC-Versand wird von der Wirtschaftspresse bejubelt: Was die führende Drogeriekette in Deutschland anpackt, kann nur erfolgreich sein, so die Annahme. Dabei ist es im Grunde schon der vierte Anlauf des Konzerns, einen Fuß in das Geschäft mit Apothekenmarken zu bekommen. Und dass selbst milliardenschwere Großkonzerne sich schwer tun, sich im Terrain der Apotheken zu positionieren, zeigt ein Projekt von Amazon in Italien.

Innenansicht vom Geschäft
Angeboten werden Kosmetikmarken wie Eucerin, La Roche-Posay und Vichy.Foto: APOTHEKE ADHOC

Giorgio Busnelli, Vice President von Amazon Consumer Goods in Europa, war überzeugt: „Unser Ladengeschäft verbessert und modernisiert das Einkaufserlebnis unserer Kunden mit einer kuratierten Auswahl an Schönheits- und Körperpflegeprodukten sowie dermatologisch empfohlenen Produkten.“ Man habe das Geschäft so konzipiert, dass man den Kunden „noch näher“ komme und ihnen ein innovatives Erlebnis bieten könne, das modernste Technologie mit kompetenter Beratung verbinde.

Mehr noch: „Dank dieser Eröffnung können wir unser Online-Angebot an Schönheits- und Körperpflegeprodukten in den Amazon-Filialen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien im Laufe des Jahres erweitern. Dieses erweiterte Sortiment spiegelt unser Engagement wider, die vielfältigen Bedürfnisse unserer Kunden sowohl in unserem Ladengeschäft in Mailand als auch online in Europa zu erfüllen.“

Die Wirklichkeit sieht ein wenig anders aus. Weder gibt es ähnliche Geschäfte in anderen europäischen Metropolen, noch hat der Flagshipstore in Mailand neue Maßstäbe gesetzt. Erst einmal muss man das Geschäft suchen: Zwar ist der Piazzale Cadorna ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, an dem zahlreiche Pendler unterwegs sind. Doch die Passantenströme gehen vom gleichnamigen Bahnhof aus mehr in Richtung Süden, während das eher unauffällige Ladenlokal an der Einmündung einer kleinen Nebenstraße auf der gegenüberliegenden Seite in Richtung Castello Sforzesco liegt.

Innenansicht vom Geschäft
Der Raum ist ein langer Schlauch.Foto: APOTHEKE ADHOC

Im Frühjahr 2024 sorgte eine Schlagzeile für Aufregung unter Apothekerinnen und Apothekern in Italien: Amazon hatte sich am Piazzale Cadorna in Mailand ein Ladenlokal gesichert, in dem bis dahin eine Parafarmacia untergebracht war – also eines jener Geschäfte, in denen OTC-Medikamente verkauft werden dürfen. Laut Medienberichten hatte eine eigens gegründete Gesellschaft namens Pellicano Italy die Räumlichkeiten mit 135 Quadratmetern Gesamtfläche übernommen; wenige Wochen später soll Amazon das Unternehmen übernommen haben. War das der schon so lange beschworene Einstieg des Internetriesen in den Apothekenmarkt?

Am 12. Februar dieses Jahres wurde große Eröffnung gefeiert. Man biete Kunden eine Auswahl vertrauenswürdiger Marken wie Eucerin, La Roche-Posay, Vichy, Avène, Bionike, Rilastil und CeraVe, warb der Konzern. Alle Empfehlungen basierten auf umfassender Beratung und Nutzung fortschrittlicher Technologien: An „Place & Learn Stations“ könnten Kunden mit interaktiven digitalen Displays mehr über die Produkte erfahren. Auf Tablets würden Lehrvideos zu ausgewählten Artikeln abgespielt, hieß es weiter. Übersichtliche Regaldisplays und elektronische Regaletiketten erleichterten den Kunden den Einstieg in verschiedene Marken, Produkte und Kategorien.

Ein weiteres Highlight sei eine Derma-Bar – ein Erlebnisbereich, in dem man mehr über seine Haut erfahren sowie Produkte testen könne: An drei digitalen Hautanalysestationen erhielten Kunden einen umfassenden Bericht über ihren Hauttyp und -zustand. Basierend auf den Erkenntnissen unterbreiteten „Beauty-Experten“ anschließend individuelle Produktempfehlungen. Das Geschäft verfüge außerdem über einen Theken- und Apothekenbereich mit Apothekerpersonal: „Hier können Kunden rezeptfreie Medikamente erwerben. Die Apotheker bieten kompetente Beratung und Informationen zu den verfügbaren Produkten.“

Innenansicht Geschäft
In einem Hinterraum befindet sich die „Beauty Bar“.Foto: APOTHEKE ADHOC

Außer den Werbetafeln in den Oberlichtfenstern gibt es kaum einen Hinweis, dass hier der weltgrößte Internetkonzern europäische Apothekenmarken verkauft. Der Raum ist ein schmaler Schlauch, mit einem langen Regal gegenüber den Schaufenstern und Tischen, auf denen einzelne Produkte stehen. Das Sortiment ist überschaubar, im Grunde stechen nur Eucerin, La Roche-Posay und CeraVe ins Auge. Viele Centerapotheken dürften eine größere Auswahl führen.

Von den versprochenen Tools für das digital erweiterte Einkaufserlebnis ist nichts zu sehen. Die Sichtwahl sieht genauso gerümpelig aus wie in vielen anderen italienischen Parafarmacien. Die Derma-Bar befindet sich in einem fensterlosen Hinterraum, der eher an eine Videothek als an ein stylisches Kosmetikgeschäft erinnert.

An zwei aufeinander folgenden Tagen ist kaum ein Besucher im Geschäft anzutreffen. Zwei Mitarbeiterinnen langweilen sich am Tresen. Es handele sich um eine Art Showroom, in dem verschiedene Marken präsentiert würden, berichten sie. Ob sich das Geschäft denn lohne? „Für Amazon vielleicht.“ Warum ausgerechnet Mailand und nicht New York oder London? Weil Mailand eben die Stadt von Fashion und Lifestyle sei. Ob es denn tatsächlich weitere Eröffnungen geben werde? Sicher, in Kürze werde man auf der anderen Seite des Platzes die erste eigene Luxusparfümerie eröffnen.

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