Die Hausärzte hadern weiter mit der elektronischen Patientenakte (ePA). „Für die Idee gebe ich die Note ‚sehr gut‘, für die Ausführung durch die Krankenkassen, die Industrie und die Digitalagentur Gematik die Note ‚mangelhaft‘“, sagte die Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, Professor Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, der „Rheinischen Post“. Zudem bezieht sie Stellung zu den vermeintlich auftauchenden Falschdiagnosen in der ePA.
Buhlinger-Göpfarth wies Vorwürfe zurück, dass die Patientenakten (ePA) massenhaft falsche Diagnose enthielten: „Wir Ärzte versorgen über 500 Millionen Fälle pro Jahr in unseren Praxen, da sind bestimmt in Einzelfällen Diagnosen auch mal falsch eingegeben oder veraltet“, sagte sie. „Mehr Transparenz durch die ePA ist da gut. Aber das ist doch kein Massenproblem.“
So hatte zunächst die „Neue Westfälische“ vor wenigen Wochen über derartige Fälle berichtet, in denen Patient:innen von falschen Diagnosen oder Phantomdiagnosen in ihren Akten berichteten. Darunter seien überhöhte oder frei erfundene Befunde, vor allem im Bereich der psychischen Erkrankungen. Das Blatt vermutete hier falsche Anreize durch höhere Pauschalen bei bestimmten Diagnosen als Grund, was der Hausärztinnen- und Hausärzteverband zurückwies. Man dokumentiere „nach bestem Wissen und Gewissen“. Eine Patientenschützerin empfahl in dem Medienbericht die sorgsame Prüfung der ePA-Inhalte durch die Patient:innen.
Auch die „Rheinischen Post“ griff das Thema danach auf. „Medizinische Diagnosen liegen in der Verantwortung der Ärzteschaft, was richtig ist, denn hier sitzen die Fachleute“, wird dazu eine GKV-Sprecherin zitiert. „In der vertragsärztlichen Versorgung werden pro Jahr rund 600 Millionen Fälle abgerechnet, für die jeweils mindestens eine ICD-10-Codierung als abrechnungsbegründende Angabe dokumentiert wird“, erklärte ein Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) das System der International Classification of Diseases (ICD).
„Es gibt also Milliarden von Codierungen im Jahr. Dabei kann es in Einzelfällen zu Eingabefehlern kommen“ – wie Zahlendreher, Auswahl des falschen Codes, Übertragungsfehler aus anderen Unterlagen, die bei der Eingabe durch die Praxen in die elektronische Abrechnung erfolgen können.
Aber auch Verdachtsdiagnosen seien zu beachten, denn Ärzt:innen seien verpflichtet, für die Abrechnung der Behandlung eine Diagnose zu übermitteln. Gebe es keine gesicherte Diagnosen werde notfalls eine Verdachtsdiagnose dokumentiert. Daher rät die KBV den Patient:innen die vermeintlich falsche Diagnosen in ihren Akten finden, direkt Rücksprache mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin zu halten. Hier habe die ePA einen klaren Transparenzvorteil, betonen die Kassen.
Somit handele es sich bei vielen der vermeintlichen falschen Diagnosen um von den Patient:innen missverstandene Einträge durch die Ärzt:innen. So betont die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW): „Besonderes Erstaunen löst bei Patientinnen und Patienten eine psychosomatische oder psychosoziale Diagnose aus. Viele Erkrankungen werden nachgewiesenermaßen durch psychische Zusammenhänge beeinflusst, die Häufigkeit psychischer Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Seit vielen Jahren wird daher von Ärzten gefordert, derartige Zusammenhänge besser in Diagnostik und Therapie zu berücksichtigen.“
Da für die Leistungsabrechnung auch in solchen Fällen mindestens eine Verdachtsdiagnose notwendig ist, brauche es diese aus der Gruppe dieser Erkrankungen. „Damit steigt die Zahl der angegebenen Diagnosen mit einem psychischen Hintergrund, auch wenn sich ein solcher Zusammenhang letztendlich nicht bestätigt, und auch, wenn das für die Patienten zunächst nicht bewusst ist.“ Wer also wegen Rückenschmerzen zum Arzt gehe, könne in der Codierung seines Befundes neben diesen Schmerzen auch eine rückenschmerzverstärkende Belastungssituation am Arbeitsplatz finden, so die KVBW.
„Drei Viertel der Praxen berichten in einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung von technischen Problemen in den letzten Monaten. So zerstört man Vertrauen.“
Seit dem 1. Oktober sind Gesundheitseinrichtungen verpflichtet, wichtige Daten wie Befunde oder Laborwerte in die E-Akten einzustellen. Sie können Patienten ein Leben lang begleiten und sollen zu besseren Behandlungen beitragen.
Von der Bundesregierung wünscht sich die Verbandschefin die schnelle Einführung eines Hausarzt-Systems: „Unser Vorschlag: Wer zuerst zum Hausarzt geht, bekommt, wenn nötig, schneller einen Termin beim Facharzt. Das ist ein guter Anreiz“, sagte sie.
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