Kammern und Verbände kritisieren ApoVWG

Fehlendes Fixum: „Vertrauen wird verspielt“

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Berlin -

Gestern segnete das Kabinett die Apothekenreform von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) ab. Die Apothekerschaft reagiert mit tiefem Unmut: Der größte Kritikpunkt ist die weiterhin ausbleibende, aber im Koalitionsvertrag versprochene Erhöhung des Fixums. Kammern und Verbände fordern die sofortige Anpassung auf die angekündigten 9,50 Euro. Die Standesvertreter warnen: Verschiebt die Politik die Honorarerhöhung weiterhin auf einen unbestimmten Zeitpunkt, beschleunigt sie den Apothekenrückgang und gefährdet die flächendeckende Versorgung.

Niedersachsen: „Politik entzieht sich ihrer Verantwortung“

„Der Gesetzgeber hat uns die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung übertragen, was wir gerne erfüllen. Doch seit 2013 ist das Apothekenhonorar festgefroren. Angesichts der massiv gestiegenen Betriebs-, Energie- und Personalkosten können sich viele Apotheken nicht mehr halten und müssen schließen“, kritisiert Dr. Mathias Grau, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen (LAV).

Dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Reform durch das Kabinett gebracht habe, eine wirtschaftliche Stärkung der Apotheken jedoch auf unbestimmte Zeit verschiebe, zeige, dass sich die Politik ihrer Verantwortung entziehe und bewusst die Zerstörung des Apothekensystems in Kauf nehme. Auch das Argument einer angespannten Finanzlage der Krankenkassen überzeuge nicht, wenn diese mit anderen Leistungserbringern jährlich Honorarerhöhungen aushandelten.

„Leitet die Politik nicht schnellstmöglich die zugesagte Anpassung des Apothekenhonorars in die Wege, werden wir die Bevölkerung noch intensiver auf die gravierenden Folgen des Apothekenrückganges für die Gesundheitsversorgung aufmerksam machen. Die bundesweite Aktion „Versorgungsblackout“ der Apotheken am gestrigen Tag war – sollte die Politik nicht einlenken – nur der Anfang“, kündigte Grau an.

Saarland: „Wirtschaftlich nicht mehr tragbar“

„Seit 2004 wurde das Apothekenhonorar genau einmal, nämlich in 2012, um 3 Prozent erhöht. Dass dies für Apotheken wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist, zeigt bereits der dramatische Rückgang der Zahl der Apotheken in diesem Zeitraum“, betonte auch Manfred Saar, Präsident der Apothekerkammer des Saarlandes. Sowohl das fortschreitende Apothekensterben als auch die im Koalitionsvertrag zugesagte Erhöhung des Honorars schienen die Bundesregierung nicht zu tangieren.

„Die Luft für Apotheken wird immer dünner, mittlerweile bewegen sich sogar die tarifvertraglichen Gehälter für Berufsanfänger in Apotheken nur noch knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn. Die Bundesregierung befindet sich, was Apotheken anbelangt, auf einem gesundheitspolitischen Blindflug, den unsere Patientinnen und Patienten ausbaden werden müssen“, so Saar.

Zudem kritisiert er, dass die Reform unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ Regelungen vorsehe, die die Versorgung gefährdeten. Dazu zählten die Schaffung reiner Abgabestellen ohne Laborpflicht, die Öffnung ohne Apotheker sowie drastische Kürzungen bei Rezeptur-Vergütungen. „Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus schafft die Bundesregierung die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ab“, kritisiert er.

„Der gesundheitspolitische Kahlschlag der Bundesregierung findet ihren Höhepunkt in den neuen, zum Glück noch nicht vom Kabinett beschlossenen Vergütungsregelungen zur Herstellung von Rezepturen in Apotheken – die neuen Regelungen würden dazu führen, dass Rezepturen zukünftig gesetzlich gewollt nicht mehr kostendeckend hergestellt werden können. Wenn aber gesetzlich bedingt eine kostendeckende Herstellung von Rezepturen nicht mehr möglich ist, entfällt auch der Kontrahierungszwang für Apotheken. Das kann und darf politisch nicht gewollt sein“, warnt Saar.

Bayern: „Erwarten Verlässlichkeit“

Auch aus Bayern wird Kritik laut: „Wir erwarten von der Bundesregierung Verlässlichkeit, besonders in Zeiten großer Herausforderungen für unser Gesundheitssystem. Nur durch starke Apotheken vor Ort und eine stabile, wohnortnahe Arzneimittelversorgung können diese bewältigt werden“, erklärt Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes (BAV).

Das seit 13 Jahren eingefrorene Honorar stehe im krassen Gegensatz zu den massiv gestiegenen Kosten. Inhaber bräuchten die zugesagte Anpassung dringend, um Personal leistungsgerecht zu bezahlen und investieren zu können – gerade weil die verbleibenden Apotheken immer mehr Patienten versorgen müssten. „Wir fordern die Bundesregierung auf, die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag unverzüglich umzusetzen: eine sofortige Erhöhung des packungsbezogenen Honorars für öffentliche Apotheken als Soforthilfe gegen das Apothekensterben“, so Hubmann.

Westfalen-Lippe: „Keine wirtschaftliche Stabilisierung“

Der verabschiedete Entwurf könne das System nicht retten, da er keine wirtschaftliche Stabilisierung vorsehe, so Frank Dieckerhoff, Vizepräsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL). „Die Vergütung der Apotheken ist weitgehend staatlich geregelt. Seit nunmehr 13 Jahren ist diese Honorierung von der Politik nicht mehr erhöht worden, trotz massiv gestiegener Kosten.“

Mittlerweile seien 10 Prozent der Apotheken defizitär, ein Viertel sei wirtschaftlich stark gefährdet, ergänzt Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL). „Während die Honorare anderer Akteure im Gesundheitswesen regelmäßig erhöht werden, hält die Politik die Apotheken seit Jahren mit dem Verweis auf die Finanzlage der Krankenkassen hin.“

Weder sei in dem Reformentwurf eine Honorarerhöhung vorgesehen, noch eine zielführende Lösung für eine Dynamisierung des Honorars – wie sie bei den Ärzten zum Beispiel zu recht üblich sei. In der Gastronomie werde die Mehrwertsteuer gesenkt, die Pendlerpauschale werde erhöht und selbst für Parteispenden gebe es höhere Steuervergünstigungen. „Das alles mag seine Berechtigung haben. Aber die lebenswichtige Arzneimittelversorgung der Menschen hat diese erst recht.“

Hamburg: „Trend wird sich fortsetzen“

„Der Entwurf verkennt die angespannte Lage der Apotheken“, kritisiert Holger Gnekow, Präsident der Apothekerkammer Hamburg. In Hamburg sei die Zahl der Apotheken seit 2005 von 459 auf 351 gesunken – ein Rückgang um rund ein Viertel. Dieser Trend werde sich ohne Honorarerhöhung fortsetzen.

Darüber hinaus enthielten der Kabinettsentwurf und der Verordnungsentwurf Regelungen, die bereits anlässlich des Eckpunktepapiers des Bundesgesundheitsministeriums sowie des Referentenentwurfs von der Apothekerschaft kritisch eingeordnet worden seien, weil sie die bewährten Strukturen der Arzneimittelversorgung vor Ort infrage stellten. Maßnahmen wie die PTA-Vertretungsregelung, eine verminderte Ausstattung von Apotheken sowie die Ausweitung von Zweigapotheken könnten den Marktzutritt von branchenfremden Anbietern und Ketten zu Lasten der inhabergeführten, vollversorgenden Apotheke vor Ort erleichtern.

Rheinland-Pfalz: „Vertrauen wird verspielt“

Auch der Apothekerverband Rheinland-Pfalz zeigt sich verärgert: „Unser Vertrauen in eine verbindliche Umsetzung des Koalitionsvertrages wird von der Bundesregierung verspielt“, erklärt der Vorsitzende des Apothekerverbandes Dr. Jan-Niklas Francke. Hinzu kämen neue Fallstricke bei den gesetzlichen Vorgaben für Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen.

Eine nach 13 Jahren Stillstand längst überfällige Erhöhung der pauschalen Vergütung der Apotheken für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel werde wieder nur vage angedeutet und unter Vorbehalt der Finanzkommission Gesundheit gestellt. „Niemand kann ernsthaft glauben, dass sich die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2026 spontan verbessern wird und neben dem Anstieg der GKV-Verwaltungsausgaben (+2,8 Mrd. EUR seit 2013 auf jetzt 12,7 Mrd. EUR jährlich) neuer Spielraum für dringende Investitionen in die wohnortnahe Arzneimittelversorgung entsteht“, so Francke weiter.

Der Staat trage die Verantwortung für eine stabile, krisenfeste und einfach erreichbare Arzneimittelversorgung. Statt Überregulierungen abzuschaffen, die Verwaltungskosten der Krankenkassen zu begrenzen oder den mehr als 160.000 Leistungsträgern in öffentlichen Apotheken eine wirtschaftliche Perspektive für die Zukunft zu bieten, enttäuschten Bundesministerin Warken und ihr Ministerium die Hoffnung der Apothekerschaft auf einen Kurswechsel. Die kalte Deckelung der Honorare seit 2013 stehe zudem klar im Widerspruch zu dem Wunsch, dass Apotheken neue heilberufliche Aufgaben – wie Prävention, Impfen oder Medikations-Checks – übernehmen sollen.

„Wir fordern alle Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene eindringlich auf, dieser gesundheitspolitischen Irrfahrt ein Ende zu setzen und sofort das politische Versprechen einzulösen, die öffentlichen Apotheken wirtschaftlich zu stärken. Wir werden in den nächsten Wochen alle persönlichen Kontakte in unseren Betrieben nutzen und die Verantwortung der Regierungskoalition für ein weiter ungebremstes Apothekensterben klar benennen“, erklärt der Apothekerverband.

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