Ein Stromausfall im Süden Berlins hat auch etliche Apotheken lahmgelegt. Für Inhaberinnen und Inhaber entstehen dadurch nicht nur Umsatzeinbußen, sondern auch potenzielle Verluste durch die Unterbrechung der Kühlkette empfindlicher und hochpreisiger Arzneimittel. Doch wer kommt für den Schaden auf? „Die meisten Policen sichern nur geringe Werte von einigen wenigen 1000 Euro ab“, erklärt Versicherungsexperte Michael Jeinsen.
Ein voller Arzneimittelkühlschrank in Apotheken überschreitet schnell einen Wert im vier- bis fünfstelligen Bereich. Fällt der Strom aus, heißt es schnell handeln, denn ansonsten drohen enorme Verluste. Die zentrale Frage für Inhaberinnen und Inhaber: Wer kommt für den Schaden auf?
„Ein Stromausfall bedeutet für Apotheken nicht nur den Ausfall elektronischer Kassen und Computer samt Warenwirtschaftssystem, sondern eben auch einen Ausfall von Medizinkühlschränken“, erklärt Jeinsen. „Da selbst zertifizierte Medizinkühlschränke nach DIN 13277 nur Akkus haben müssen, die zwölf Stunden Strom liefern, bieten diese Kühlgeräte keinen ausreichenden Schutz für einen Ausfall, wie der Süden Berlins ihn gerade erlebte.“
Ein weiteres Problem bei Kühlgutversicherungen: „Die meisten Policen sichern nur geringe Werte von einigen wenigen 1000 Euro ab“, erklärt Jeinsen. „Benötigt werden häufig aber Medikamente im Wert von 75.000 bis 100.000 Euro. Einen Schutz dafür bieten meist nur apothekenspezifische Versicherungen.“ Es bleibe die Frage nach einem Schadensersatz. Eine Möglichkeit: „Bei Stromnetz Berlin soll man laut Medienberichten eine Forderung auf Schadensersatz stellen können“, so der Experte. „Darüber hinaus ist allen betroffenen Apothekern zu empfehlen, in den Ordner mit den abgeschlossenen Versicherungen zu schauen und die erlittenen Schäden genau zu prüfen.“
Die Lage bei Stromausfällen ist laut Jeinsen komplex. „Allgemeine Ausschlüsse in den Versicherungsbedingungen gibt es bekanntermaßen immer. Sie betreffen den Vorsatz als grundsätzlich nicht versicherbares Risiko.“ Er warnt: „Viele Versicherer lehnen auch eine Erstattung bei grober Fahrlässigkeit ab sowie die nicht kalkulierbaren Risiken Krieg, innere Unruhen und Terrorakte.“
Jeinsen erläutert weiter: „Bei Apotheken-Inhaltsversicherungen, auch Werteversicherungen genannt, gilt: Ein Stromausfall, der eine komplette oder teilweise Betriebsunterbrechung (BU) verursacht, zählt nicht als versicherter Schaden und ist daher nicht abgedeckt.“
Anders sehe es bei einem Stromausfall aus, wenn „beispielsweise versicherte Inhaltsgegenstände wie Kommissionierer oder Elektronik beschädigt worden sind, und dadurch ein BU-Schaden verursacht worden ist. Dann besteht selbstverständlich Deckung“, stellt er klar. „Es muss durch den Stromausfall auch Apothekentechnik beschädigt worden sein, damit der Versicherungsschutz einsetzt.“
Im Falle eines Stromausfalls ohne beschädigtes Apothekeneigentum sei deshalb zu prüfen, „ob die Ursache des Stromausfalls eine Haftung fremder Dritter begründet“. Will heißen: „Beispielsweise durch Vertragsverletzung des Stromanbieters. Etwa weil er Warnungen vor geplanten Abschaltungen versäumt hat oder der Ausfall durch mangelhafte Arbeiten am Stromnetz verursacht wurde.“
Auch könnten andere Unternehmen, die bei ihrer Arbeit versehentlich den Stromausfall ausgelöst haben, haftbar gemacht werden. „In beiden Fällen lohnt sich also eine Anfrage beim Stromlieferanten nach der Ursache des Stromausfalls.“
Für den aktuellen Fall in Berlin gelte das nicht mehr: „Die Ursache des Stromausfalls scheint klar. Es war Vorsatz, damit haben zwar die Täter selber jeden Versicherungsschutz verloren, nicht aber die Apothekeninhaber den ihrigen“, erklärt Jeinsen. Aber es seien dennoch weitere Fragen zu klären. „Wird der Angriff auf das Stromnetz offiziell und versicherungsfest als Terroranschlag gewertet?“ Eher nicht, denn: „Innere Unruhen sowie Terrortaten sind regierungsseitig offiziell festzustellen. Also greift der Terror-Ausschluss hier (bislang) nicht.“
„Für alle Apothekeninhaber jedoch geht es um die Art der Folgeschäden. Im aktuellen Berliner Schadenfall sind natürlich Einlösungen von E-Rezepten nicht möglich gewesen“, so der Experte. „Doch es ist nichts kaputt gegangen, sondern nur ein Schaden am Apothekenumsatz entstanden – ein sogenannter Vermögensschaden“, stellt er klar. Und weiter: „Der allein reicht aber nicht aus, um bei einer Sachversicherung – und jeder Apotheken-Inhaltspolice ist eine solche – die Leitungspflicht auszulösen.“
Aber: „In Verbindung mit einem Sachschaden, beispielsweise am Kühlgut oder bei Stromwiederherstellung nicht mehr anspringenden IT-Geräten oder Kommissionierern, ist der Sachschaden infolge des Stromausfalls, und damit der Versicherungsfall, dann tatsächlich eingetreten“, betont Jeinsen. Das gelte für alle Sachschäden. „Und den damit verbundenen Vermögensschäden durch Betriebsunterbrechung oder Teil-BU.“ Der Sachschaden sei festzustellen und der Apotheken-Inhalts- oder Werteversicherung zu melden, rät Jeinsen. Für alle sonstigen anderen Anfragen gäbe es nur „den frustrierenden Dreiklang“ aus „nicht zuständig, kein Schaden, keine Leistungspflicht“ als Antwort.
Sein Tipp: „Inhaberinnen und Inhaber sollten auf jeden Fall unverzüglich Ihren Versicherungsberater einschalten, egal ob der zuständig ist oder nicht. Denn die Expertise wird unbedingt benötigt.“