Rabatt ja, Werbung nein

OTC-Streichpreise: Droht jetzt die Abmahnwelle?

, Uhr
Berlin -

Apotheken dürfen OTC-Medikamente zu günstigeren Preisen anbieten – sie dürfen aber nicht aggressiv mit Streichpreisen dafür werben. Das hat das Landgericht Frankfurt (LG) im Zusammenhang mit Angeboten des Versenders Apo.com entschieden, gegen die die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) vorgegangen war. Droht jetzt auch deutschen Vor-Ort-Apotheken die nächste Abmahnwelle?

Das LG hatte auf die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verwiesen: Demnach ergibt sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel die Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, Werbung zu verhindern, die geeignet ist, den unzweckmäßigen Einsatz von Arzneimitteln zu fördern.

Schon im März hatte Professor Dr. Elmar Mand darauf hingewiesen, dass die Linie des EuGH extrem restriktiv bei OTC-Werbung sei und dass es zu einer Verschärfung der Vorschriften kommen könnte: „In Zukunft wird aufgrund der Vorgaben des EuGH – in Deutschland und in allen anderen Mitgliedstaaten – noch deutlich eingeschränkt werden müssen als es bisher der Fall. Auch direkte Rabatte, etwa durch Vergleich alter Preis gegen neuer Preis, dürften nach der Rechtsprechung des EuGH verboten sein – anders als wir das bei den üblichen Werbeaktionen kennen.“

Allerdings seien Apotheken nicht akut von Abmahnungen bedroht, so Mand damals. Denn laut § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) ist die Werbung mit Barrabatten explizit erlaubt: „Solange wir eine Regelung haben wie den § 7 HWG, der bestimmte Formen der Werbung zulässt, sind auch solche Streichpreise weiter erlaubt. Das wird man auch nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung ändern können. Aus meiner Sicht muss der Gesetzgeber tätig werden. Eine durch Gerichte verschärfte Auslegung des geltenden Rechts wird es nur sehr begrenzt geben können.“

Vorsicht bei hohen Rabatten

Warum hat das LG jetzt dennoch die Werbung von Apo.com verboten? Laut Urteil ist die Sonderregelung des § 7 HWG nicht berührt, da es „vorliegend nicht um die Zulässigkeit der Preisgestaltung an sich geht, sondern um die Art und Weise der Darstellung des Preisvorteils und der Ersparnis“.

Heißt: Laut Urteil dürfen Apotheken nicht zu weit gehen. Mit der Werbung für Preisersparnisse würden unzulässige zusätzliche Kaufanreize geschaffen, so das LG. „Dies mag bei geringfügigen Preisersparnissen anders zu bewerten sein. Dies gilt jedenfalls aber dann, wenn wie vorliegend mit einer solch massiven Preisersparnis im Rahmen von 42 bis zu 67 Prozent, konkret 42, 51, 57, 61, 63 und 67 Prozent, geworben wird.“

Apo.com habe bei fünf von sechs Produkten mit einer Preisersparnis von mehr als der Hälfte geworben. „Insoweit hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die dargestellte konkrete hervorgehobene Preisersparniswerbung aus dem Grund gewählt wurde, um einen zusätzlichen Kaufanreiz zu schaffen, da man ja aufgrund des besonders niedrigen Preises ganz besonders sparen kann.“ Aufgrund der blickfangmäßig hervorgehobenen Werbung werde der Verbraucher dazu verleitet, eine größere Menge an Medikamenten einzukaufen, als er eigentlich benötige – auch bei Berücksichtigung einer Vorratshaltung in der Hausapotheke. Die Medikamente seien so günstig, dass man deshalb „zuschlagen“ müsse.

„Insoweit wird der Verbraucher durch die Preisersparniswerbung von einer sachlichen Prüfung der Frage ablenkt, ob die Einnahme eines Arzneimittels erforderlich ist. Dadurch wiederum wird der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung dieses Arzneimittels Vorschub geleistet. Das Argument der Preisersparnis überlagert quasi die Frage, wie viele Arzneimittel man eigentlich bei rationaler Sichtweise tatsächlich benötigt. Insoweit geht von der farblichen Hervorhebung des Preises des jeweiligen Produktes und der kommunizierten massiven Preisersparnis entgegen der Ansicht der Beklagten nach Auffassung der Kammer durchaus eine Anlockwirkung aus, die den Verbraucher von einer informierten Entscheidung ablenkt.“

Kein Eingriff in Preisbildung

Es gehe nicht darum, der Apotheke vorzuschreiben, zu welchen Preisen sie die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente zu verkaufen habe. „Sie ist bei der Preisbildung frei. Ihr ist deshalb völlig unbenommen, diese Arzneimittel zu ‚erschwinglichen‘ und ‚fairen Konditionen‘ anzubieten. Dazu muss sie aber nicht, was hier allein Gegenstand ist, eine Preisersparnis wie vorliegend geschehen blickfangmäßig hervorheben. Sie kann schlicht und einfach einen günstigen Preis verlangen und so die Verbraucher überzeugen.“

Durch die blickfangmäßig hervorgehobene Werbung mit der massiven Preisersparnis wird unter Berücksichtigung der oben genannten EuGH-Rechtsprechung die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar beeinträchtigt, da dadurch der Preisaspekt bei Arzneimitteln unangemessen in den Vordergrund gerückt wird und somit die rationale Entscheidung darüber, ob das Arzneimittel an sich und in welcher Menge tatsächlich benötigt wird. Dadurch kann der Verbraucher auch veranlasst werden, mehr Arzneimittel zu kaufen als er eigentlich benötigt.

Mehrkonsum verhindern

Das LG sieht sich an die Auslegung des EuGH gebunden. „Dies rechtfertigt der EuGH durchaus nachvollziehbar mit der Begründung, dass Arzneimitteln einen ganz besonderen Charakter haben, deren therapeutische Wirkungen sie substanziell von den übrigen Waren unterscheiden. Aufgrund dieser therapeutischen Wirkungen können Arzneimittel, wenn sie ohne Not oder falsch eingenommen werden, der Gesundheit schweren Schaden zufügen, ohne dass der Patient sich dessen bei ihrer Verabreichung bewusst sein kann.“

Der Endverbraucher prüfe bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln selbst die Zweckmäßigkeit oder die Notwendigkeit des Kaufs solcher Arzneimittel, ohne einen Arzt zu konsultieren. „Dieser Verbraucher verfügt aber nicht notwendigerweise über spezielle Sachkenntnis, die es ihm ermöglichen würde, ihren therapeutischen Wert zu beurteilen.“ Die Werbung könne daher einen besonders großen Einfluss auf die Entscheidung dieses Verbrauchers ausüben, und zwar sowohl was die Qualität des Arzneimittels betreffe als auch die zu kaufenden Menge. „Deshalb ist es gerechtfertigt, auch bei der Preiswerbung im Zusammenhang mit dem Einfluss derselben auf die Entscheidung des Verbrauchers hinsichtlich der zu kaufenden Menge, einen strengen Maßstab anzulegen.“

Der EuGH mache deshalb nunmehr zur Vorgabe, dass – auch wenn Werbung für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulässig ist – die Mitgliedstaaten die Werbung verbieten müssen, sofern Elemente einbezogen werden, die den unzweckmäßigen Einsatz solcher Arzneimittel fördern könnten. „Dies gilt auch für Werbeelemente, die geeignet sind, die Verbraucher über das wirtschaftliche Kriterium des Preises zum Kauf von Arzneimitteln zu veranlassen, die weder verschreibungspflichtig noch erstattungsfähig sind. Sie können daher dazu führen, dass Verbraucher diese Arzneimittel kaufen und einnehmen, ohne dass eine sachliche Prüfung anhand der therapeutischen Eigenschaften der Arzneimittel und des konkreten medizinischen Bedarfs vorgenommen worden wäre. Eine solche Werbung, die den Verbraucher von einer sachlichen Prüfung der Frage ablenkt, ob die Einnahme eines Arzneimittels erforderlich ist, leistet aber der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung dieses Arzneimittels Vorschub.“

Keine neutrale Information

Angaben zur Preisersparnis seien auch nicht lediglich informative Angaben ohne jede Werbeabsicht, so das LG. Vielmehr gehe es um die Verbreitung von Inhalten, die „den Kauf dieser Arzneimittel fördern sollen nämlich unter Verweis auf ihren Preis, und zwar auf einen extrem günstigen Preis“. Bei Apo.com sei der Hinweis auf die mögliche Preisersparnis auch nicht optisch dezent gehalten: „Das Gegenteil ist der Fall. Die massive Preisersparnis wird blickfangmäßig durch die orangefarbigen Kästchen deutlich hervorgehoben und sind nicht zu übersehen.“

Guter Journalismus ist unbezahlbar.
Jetzt bei APOTHEKE ADHOC plus anmelden, für 0 Euro.
Melden Sie sich kostenfrei an und
lesen Sie weiter.
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Mehr zum Thema
„Nicht ethische, sondern juristische Frage“
Zwölfjährige bei Schädel-OP – Freispruch
Streit um Kostenübernahme
Urteil: Kein Wegovy auf Kassenrezept