Teil 1

Pharmazeutische Bedenken bei kritischen Darreichungsformen

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Berlin -

Vor ein paar Jahren konnten „pharmazeutische Bedenken“ noch relativ risikoarm angewendet werden. Mittlerweile kommt es auch hier zu Beanstandungen seitens der Kassen. Die alleinige Dokumentation der Sonder-PZN reicht nicht mehr aus. Je nachdem, was vom pharmazeutischen Personal beanstandet wird, sollten handschriftliche Ergänzungen vorgenommen werden – das gilt auch bei kritischen Darreichungsformen.

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) zählt magensaftresistent überzogene Formen und Retardarzneimittel, dermal oder auf Schleimhäute applizierte systemische Arzneimittel, pulmonal oder intravasal (innerhalb der Blutgefäße gelegen) angewendete systemische Arzneimittel und topisch applizierte, lokal wirksame Arzneiformen zu den kritischen Darreichungsformen.

Retardierung ist nicht gleich Retardierung

Es gibt zahlreiche unterschiedliche galenische Konzepte, um eine zeitverzögerte Freisetzung von Arzneistoffen zu ermöglichen. Retardtabletten und -kapseln gehören sicherlich zu den am häufigsten angewendeten Formen. Doch auch Granulate oder Dragees mit verzögerter Wirkstofffreisetzung sind am Markt. Aufgrund der komplexen Galenik – die Überzüge von Dragees & Co. sind oft individuell – besitzen diese Präparate ein sehr spezifisches Freisetzungs- und Resorptionsverhalten. Apotheker:innen und PTA, die retardierte Arzneiformen austauschen wollen, sollten demnach vorsichtig sein.

Es gibt verschiedene pharmazeutisch-technologische Wege, eine verlangsamte Wirkstofffreisetzung zu erzielen, z. B. mit Retardtabletten, -kapseln, -granulaten oder -dragees. Retardarzneimittel haben aufgrund ihrer komplexen Galenik ein sehr spezifisches Freisetzungs- und Resorptionsverhalten. Bezüglich einer Arzneimittelsubstitution ist hier Vorsicht geboten. Verschiedene Retardformen gelten laut der Großen Deutschen Spezialitätentaxe (Lauer-Taxe) und der Anlage 7 der Arzneimittelrichtlinie als austauschbar. Dabei unterscheiden sie sich in ihren biopharmazeutischen Eigenschaften oft erheblich. Beispielsweise sind bei vielen Wirkstoffen Kapseln, Tabletten, Lutschtabletten oder auch Brausetabletten untereinander austauschbar.

Wie kann nun im HV entschieden werden, ob ein Präparat ausgetauscht werden kann oder nicht? Die DPhG verweist dabei auf folgende Punkte:

  • Beide Präparate sollten über denselben Aggregatzustand zur Anwendung kommen (fest, flüssig).
  • Beide Präparate sollten auf demselben Applikationsweg angewendet werden (oral, dermal).
  • Beide Präparate sollten analoge biopharmazeutische Eigenschaften aufweisen (retardiert).

Unterschiede in der Bioverfügbarkeit sollten vermieden werden. Somit ist die Anwendung von pharmazeutischen Bedenken beim Austausch von Retardarzneimitteln bei vorliegender abweichender Bioverfügbarkeit angemessen.

Anlage 7 weicht von DPhG-Empfehlungen ab

In der Anlage 7 zur Arzneimittel-Richtlinie können austauschbare Darreichungsformen nach Wirkstoff nachgeschlagen werden. So können laut Anlage bei ASS folgende Darreichungsformen ausgetauscht werden: Kautabletten, Tabletten, Granulat im Beutel und magensaftresistente Tabletten. ASS gehört nicht zu den stark wirksamen Schmerzmitteln, oder den Wirkstoffen mit geringer therapeutischer Breite – dennoch, die Bioverfügbarkeit der einzelnen Darreichungsformen wird sich unterscheiden. Zwar ist der Applikationsweg identisch, die biopharmazeutischen Eigenschaften weichen jedoch voneinander ab. Dieses Beispiel zeigt, dass die Anlage 7 teilweise von den Empfehlungen der DPhG abweicht.

Achtung bei magensaftresistenten Formen

Auch magensaftresistente Formen verfügen über komplexe und oftmals individuelle galenische Konzepte. Durch verschiedene Überzüge oder die Einarbeitung in eine Matrix soll das Auflösen der Tablette oder Kapsel im Magen verhindert werden. Oftmals wird der Wirkstoff pH-abhängig erst im Dünndarm freigesetzt. Laut Anlage 7 gelten mehrere magensaftresistente Formen als austauschbar, obwohl bekannt ist, dass sie in ihren biopharmazeutischen Eigenschaften voneinander abweichen.

Bekanntestes Beispiel: Omeprazol. Laut Anlage 7 können bei dem Protonenpumpeninhibitor folgende Darreichungsformen ausgetauscht werden: Magensaftresistente Kapseln und magensaftresistente Tabletten, Hartkapseln und magensaftresistente Pellets in Kapseln. Die Unterscheidung zwischen monolithischer oder polydisperser Tablette – bekannt als MUPS (Multiple Unit Pellet System) – fehlt. Dabei handelt es sich hierbei um zwei verschiedene galenische Konzepte mit unterschiedlicher Bioverfügbarkeit. Somit können die pharmazeutischen Bedenken auch hier begründet angewendet werden.

Dokumentation

Neben der Sonder-PZN 02567024 und dem jeweiligen Faktor 8 oder 9 muss eine kurze handschriftliche Erläuterung dokumentiert werden. Diese ist mit Datum und Kürzel abzuzeichnen. Dabei kommt Faktor 8 bei sonstigen pharmazeutischen Bedenken gegen das verordnete Rabattarzneimittel und Faktor 9 bei sonstigen pharmazeutischen Bedenken gegen das verordnete Rabattarzneimittel und die vier preisgünstigsten Arzneimittel oder gegen das Rabattarzneimittel und die preisgünstigen Importe zur Anwendung.

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