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Lieferengpässe in der EU: Mehr als 600 Arzneimittel fehlen

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Berlin -

Die Lieferengpässe sind längst kein nationales Problem mehr: Eine EU-weite Umfrage unter den Apothekenverbänden verdeutlicht, wie sehr die Apothekenteams in ganz Europa tatsächlich damit zu kämpfen haben. In sieben Staaten fehlen über 600 Arzneimittel.

Die PGEU (Pharmaceutical Group of the European Union) führt jährlich eine Umfrage zu Lieferengpässen bei ihren Mitgliedern durch. Teilnehmen dürfen sowohl die Standesvertretungen aus EU-Staaten als auch aus Nicht-EU-Staaten wie Norwegen. Insgesamt haben sich 2022 die Organisationen aus 29 Staaten an der Umfrage beteiligt, neben Deutschland auch direkte Nachbarländer wie Polen, Frankreich, Tschechien, und Dänemark.

Ausmaß der Lieferengpässe

Alle Teilnehmer berichteten von Medikamentenknappheiten, auch 2019, 2020 und 2021 war das der Fall. Allerdings gaben sieben Staaten an, dass sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert habe, die restlichen 22 schätzten das Ausmaß der Engpässe als gleich geblieben ein.

In Portugal hätten Apotheken über 30 Prozent mehr nicht lieferbare AM gemeldet als im Vorjahr. In Irland seien im November 2021 245 Engpässe gemeldet gewesen, im November 2022 hingegen 348. Das spanische Meldesystem Cismed erfasste sogar 140 Prozent mehr Engpässe als 2021.

Kein Teilnehmer empfand für sein Land eine Verbesserung der Situation, im Vorjahr war noch in sechs Fällen eine Verbesserung angegeben worden. In 21 Ländern fehlten jüngst über 200 Arzneimitteln, in sieben Staaten davon sogar über 600. In Belgien sei die tatsächliche Anzahl der nicht verfügbaren Arzneimittel stabil, aber häufig seien Medikamente nicht lieferbar, die viel benötigt werden. Deshalb komme es gerade Patient:innen so vor, dass das Problem täglich schlimmer werde.

Betroffen sind in 84 Prozent der Staaten Herz-/Kreislauf-Arzneimittel, bei 79 Prozent Antibiotika und Arzneimittel für das Nervensystem und bei 76 Prozent auch Arzneimittel für die Atemwege. Spanien berichtet über einen Lieferkettenabriss für Amoxicillin-Säfte in den letzten Wochen, der inzwischen ein offizieller Versorgungsengpass geworden sei.

In über 50 Prozent der Staaten gibt es allerdings keine richtige Definition für „Lieferengpässe“, bei 31 Prozent generell kein nationales Meldesystem für Lieferschwierigkeiten. 10 Prozent der Teilnehmer gaben sogar an, gar keine weiteren Informationen über Lieferengpässe zu erhalten.

Ursachen für Lieferengpässe

Bei der Abfrage der drei häufigsten Gründe und Ursachen für Lieferengpässe in den Augen der Teilnehmer nannten knapp zwei Drittel Produktionseinstellungen oder -unterbrechungen bei den Herstellern. Über 50 Prozent gaben eine Kontingentierung durch die Hersteller an, knapp unter 50 Prozent eine unerwartete oder hohe Nachfrage. Etwa jeder vierte Staat nannte die nationale Preis- und Beschaffungsstrategie, 10 Prozent empfanden auch Rückrufe als einen der drei häufigsten Gründe.

Auswirkungen auf Patient:innen

93 Prozent sehen in den Engpässen Unannehmlichkeiten bis Notlagen für betroffenen Patient:innen. Als Folgen gaben 26 von 29 Staaten eine Therapieunterbrechung an, zehn berichteten auch von Medikationsfehlern. In Frankreich gab es Fälle, in denen Patient:innen die doppelte Dosis ihrer Arzneimittel einnahmen, weil die Packung anders aussah oder eine Therapieumstellung erfolgen musste. Sogar vier Staaten gaben den Tod von Patient:innen als Auswirkung der Lieferengpässe an. In Finnland habe ein Patient Selbstmord begangen, weil er seine Psychopharmaka nicht mehr habe einnehmen können.

Folgen für Apotheken

Auch die Auswirkungen auf die Apotheken sind vielfältig: Knapp 97 Prozent gaben an, einen finanziellen Verlust durch den zusätzlichen zeitlichen Aufwand erlitten zu haben. Mehr als die Hälfte erlebe auch eine finanzielle Belastung durch gestiegene Beschaffungskosten. In 75 Prozent der teilnehmenden Staaten sei die Mitarbeiterzufriedenheit sowie das Kundenvertrauen gesunken. Ebenfalls drei Viertel gaben an, mehr Papierkram bewältigen zu müssen. In fast allen Staaten bringt ein Arzneimittelaustausch zusätzlichen bürokratischen Aufwand mit sich.

Der wöchentliche zeitliche Aufwand, den das Personal für Lieferengpässe aufwendet, betrug 2022 durchschnittlich 6 Stunden und 40 Minuten. 2020 waren es etwa 6 Stunden und 20 Minuten gewesen, 2021 hingegen eine Stunde weniger, 5 Stunden und 20 Minuten.

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