In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern Vertreterinnen und Vertreter der Gesundheitsberufe und der ärztlichen Versorgung, Organisationen der Patientensicherheit, der öffentlichen Gesundheit, der Selbsthilfe sowie des Apothekenwesens die verbindliche Beibehaltung der gedruckten Packungsbeilage im Rahmen eines hybriden Modells, das durch digitale Formate sinnvoll ergänzt werden könne.
Hintergrund ist das laufende Trilogverfahren zur Reform des EU-Arzneimittelrechts und die bevorstehende nationale Umsetzung. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), das Patientenforum, Adexa, die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG Selbsthilfe), der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Deutsche Gesellschaft für Öffentliche Gesundheit und Bevölkerungsmedizin (DGÖGB) und der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland (ABiD) appellieren an die europäischen und deutschen Gesetzgeber, eine Regelung zu schaffen, die Patientensicherheit gewährleiste, den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsinformationen sicherstelle und den Anforderungen an Inklusion und Datenschutz gerecht werde.
Die elektronische Packungsbeilage (ePI) könne einen echten Mehrwert bieten – etwa durch bessere Zugänglichkeit, aktuellere Informationen und die Personalisierung der Informationen. Sie dürfe jedoch nicht zur ausschließlichen Informationsquelle werden. Patientinnen und Patienten müssten frei wählen können, ob sie gesundheitsrelevante Informationen digital oder in gedruckter Form erhalten möchten, so die Verbände.
Ein verpflichtender digitaler Zugang würde insbesondere ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Personen mit geringem Einkommen, in ländlichen Regionen oder mit begrenztem Internetzugang sowie sozial benachteiligte Gruppen ausschließen – und damit die Patientensicherheit gefährden, so die Begründung. Digitale Formate setzten den Besitz eines geeigneten Endgeräts, stabile Konnektivität, ausreichendes Datenvolumen und digitale Kompetenzen voraus – Anforderungen, die viele nicht erfüllen könnten.
„Die ausschließliche Bereitstellung über ePI wäre daher in der momentanen Phase unverhältnismäßig und würde zusätzliche Barrieren schaffen, wo die gedruckte Packungsbeilage eine einfache, niedrigschwellige und bewährte Lösung darstellt“, heißt es in der Stellungnahme.
Stattdessen solle ein Monitoring der Zugänglichkeit und Nutzung der papierbasierten und der elektronischen Packungsbeilage eingeführt werden, um so eine zielgerichtete und an die gesellschaftlichen Entwicklungen angepasste Bereitstellung der Patienteninformationen zu ermöglichen. „Langfristig können Informationen dann auf dem Weg zur Verfügung gestellt werden, der auch den erforderlichen Nutzungsgrad bei den Patienten erfährt.“
Die Packungsbeilage sei ein wesentliches Instrument für die sichere und sachgerechte Anwendung von Arzneimitteln, erklärten die Organisationen. Sie stärke die Gesundheitskompetenz, ermögliche einen unmittelbaren Zugang zu geprüften, vollständigen und unabhängigen Informationen und unterstütze Patientinnen und Patienten bei informierten Entscheidungen.
„Ein vollständiger Verzicht auf die Papierform würde die Verantwortung für das Einholen dieser Informationen unangemessen auf die Patientinnen und Patienten verlagern. Studien zeigen zudem, dass digital bereitgestellte Informationen – etwa über QR-Codes – in der gegenwärtigen Phase nur von einem geringen Teil der Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich abgerufen werden“, so die Verbände.
Die Verbände gingen aber auch auf die positiven Aspekte digitaler Formate wie der ePI ein. Diese lägen etwa in einer besseren Zugänglichkeit für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen, sprachlichen Anpassungen wie der Wahl der Sprache oder auch der Nutzung leichter Sprache sowie in der Möglichkeit zur schnelleren Aktualisierung von Informationen.
Diese Potenziale dürften jedoch nicht auf Kosten des gleichberechtigten Zugangs aller Patientinnen und Patienten zu gesundheitsrelevanten Informationen gehen. „Erfahrungen aus Pilotprojekten in Belgien und Luxemburg zeigen zudem, dass derzeit selbst in Gesundheitseinrichtungen ein stabiler Internetzugang nicht flächendeckend gewährleistet ist. Vor diesem Hintergrund darf die organisatorische und finanzielle Verantwortung für den Ausdruck und Zugriff auf ePIs weder auf Apotheken noch auf Patientinnen und Patienten verlagert werden“, heißt es in der Stellungnahme.
Die Einführung der ePI – auch im Rahmen eines hybriden Modells, das die Papierform ergänze – dürfe zudem nicht zulasten des Datenschutzes gehen. „Der Schutz personenbezogener Daten muss jederzeit uneingeschränkt gewährleistet sein“, so die Verbände.
Es bestehe die Gefahr, dass beim digitalen Zugriff über Apps oder Webseiten von Drittanbietern persönliche Informationen erfasst, gespeichert oder für kommerzielle Zwecke genutzt werden könnten. Dies müsse konsequent verhindert werden, forderten die Verbände. Der Zugang zu ePI solle dazu ausschließlich über vertrauenswürdige, öffentlich kontrollierte Quellen wie die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) oder nationale Arzneimittelbehörden erfolgen. „Werbung oder nichtmedizinische Inhalte haben in diesem Kontext keinen Platz.“
Auch Umfragen würden zeigen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auch künftig eine Packungsbeilage in Papierform wollten – selbst wenn ein QR-Code auf der Verpackung vorhanden sei. Besonders ältere Menschen wären bei einem rein digitalen Zugang benachteiligt. Hinzu komme, dass im Jahr 2023 nur 55,6 Prozent der Menschen in der EU im Alter von 16 bis 74 Jahren über mindestens grundlegende digitale Kompetenzen verfügten. „Für 2030 wird ein Anteil von 59,8 Prozent erwartet – damit wird das Ziel um mehr als 20 Prozentpunkte verfehlt – ein deutliches Signal gegen verpflichtende digitale Lösungen. Um einen gleichwertigen Zugang zu Gesundheitsinformationen für alle sicherzustellen, ist eine analoge Alternative unverzichtbar.“
Mit der Einführung einer hybriden Form könnten die Vorteile der ePI noch besser genutzt werden. So könnten Textinhalte im digitalen Format leichter individualisiert werden, ohne dass die Vollständigkeit der Informationen bei gleichzeitiger Verfügbarkeit der papierbasierten Fassung eingeschränkt werde. Die ePI könne somit dazu beitragen, die bisherigen Einschränkungen und Barrieren von papierbasierten Packungsbeilagen zu überwinden.
„Die elektronische Packungsbeilage kann als Teil eines hybriden Modells einen wertvollen Beitrag zur besseren Information und Orientierung von Patientinnen und Patienten leisten. Nur mit einer gedruckten Version der Patienteninformation kann sichergestellt werden, dass alle Menschen – unabhängig von Alter, digitaler Ausstattung oder persönlichen Voraussetzungen – gleichberechtigten Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen haben.
Die Einführung digitaler Formate muss daher stets inklusiv, verhältnismäßig und datenschutzkonform erfolgen und die Patientensicherheit in den Mittelpunkt stellen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind gefordert, diesen Anspruch bei der Ausgestaltung der neuen Regelungen konsequent zu berücksichtigen“, so die Verbände.
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