Auf die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) rollt eine Klagewelle zu. Weit mehr als 100 Mitglieder wehren sich vor Gericht gegen die aktuellen Beitragsbescheide, auch die Kammer in Westfalen-Lippe (AKWL) ist betroffen. Dabei hatte Kammerpräsident Dr. Armin Hoffmann zuletzt noch versucht, genau das zu verhindern. Die Anwälte der jetzt klagenden Kolleginnen und Kollegen sprechen von gezielter Täuschung.
Hintergrund der Klagen ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (VG), mit dem die Beitragsbescheide der Kammer für die Jahre 2021 bis 2024 für rechtswidrig erklärt wurden. Aus Sicht des Gerichtes hat die Kammer mit überzogenen Rücklagen unzulässigerweise ein Vermögen angehäuft; die Beitragsbescheide des klagenden Apothekers für die Jahre 2021 bis 2024 wurden daher insgesamt aufgehoben. Da die Rechtslage eindeutig sei, hat das Verwaltungsgericht sogar eine Berufung nicht zugelassen. Doch statt die Entscheidung umzusetzen, wehrt sich die Kammer mit einer Nichtzulassungsbeschwerde beim Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) gegen das Urteil.
Die klagenden Kolleginnen und Kollegen wollen nicht hinnehmen, dass auch für 2025 rechtswidrige Beitragsbescheide aufgrund überzogener Rücklagen versandt werden. Sie klagen nun – teilweise gemeinsam als sogenannte Streitgenossenschaft – vor den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten in den Kammerbezirken Nordrhein und Westfalen-Lippe gegen die zuletzt verschickten Bescheide für das laufende Jahr. Darunter sind alleine im Kammerbezirk Nordrhein mehr als 90 Apothekerinnen und Apotheker, die Mandanten der Kanzlei Dr. Bellinger & Kollegen aus Düsseldorf sind. Die Kanzlei vertritt ausschließlich Mandanten ihrer Kanzlei in dieser Angelegenheit.
Hinzu kommen rund 20 Kolleginnen und Kollegen aus dem Kammerbezirk Westfalen-Lippe, die ebenfalls Mandanten von Bellinger sind und absprachegemäß von Rechtsanwältin Jasmin Theuringer aus Düsseldorf vertreten werden. Auch Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Joachim Wüst, der bereits vier Klagen für die Jahre 2021 bis 2024 führt, hat für das 2. Quartal 2025 für ein Dutzend Kolleginnen und Kollegen Klagen eingereicht.
Der von der Kammerversammlung verabschiedete Wirtschaftsplan, der die Grundlage für die Beitragsbescheide aller Apothekerinnen und Apotheker im Kammerbezirk sei, verstoße gegen Haushaltsrecht und mache damit aus demselben Grund sämtliche Bescheide rechtswidrig, heißt es etwa in der Klageschrift von Dr. Bernhard Bellinger. Insbesondere seit der Änderung der Beitragsordnung im Jahr 2020 seien die Einnahmen der Kammer deutlich gestiegen, ohne dass es jemals Beitragssenkungen gegeben habe: So seien die Kammerbeiträge von 6 Millionen Euro im Jahr 2020 sprunghaft auf 7,5 Millionen Euro im Jahr darauf und zuletzt auf 8,2 Millionen Euro gestiegen. Für das laufende Jahr werde mit 8,3 Millionen Euro geplant.

Statt die Belastung für die Mitglieder zu reduzieren, sei ein empfindlicher Teil der Überschüsse anscheinend kontinuierlich in die Rücklagen eingestellt worden, die sich dadurch immer weiter erhöht hätten. Außerdem werde das „viel zu hohe Beitragsaufkommen […] weitgehend einfach ausgegeben, wobei die Kostensteigerungen oberhalb aller marktüblichen Steigerungsraten liegen“. Im Ergebnis hätten sich die Kammerbeiträge mittlerweile „auf einer völlig übertriebenen Höhe angesiedelt“. Während Apothekerinnen und Apotheker im Kammerbezirk durchschnittlich 3600 Euro pro Jahr zahlten, seien es bei Ärzten rund 1000 Euro, bei Anwälten 326 Euro und bei Steuerberatern 374 Euro. „Die Diskrepanz muss verwundern, da diese Kammern fast identische Aufgaben nach ihren Satzungen haben.“
Der Verweis auf die ihr übertragenen Aufgaben greift laut Bellinger zu kurz. Denn die Kammer führe an die Abda pro Jahr rund 1,7 Millionen Euro ab, die dadurch laut Anwalt Zuständigkeiten hat, die die Kammer „nicht zusätzlich bedienen sollte“. Er regt an, die Kammer im Prozess zur Offenlegung aller Verwaltungsvorgänge sowie zur Kalkulation der Beiträge und Rücklagen zu verpflichten.
Bellinger greift nicht nur die sogenannte Allgemeine Rücklage in Höhe von drei Millionen Euro an. Auch für die Ausgleichsrücklage, die zwischen 2020 und 2024 von 1,5 auf 2,8 Millionen Euro angewachsen sei, gebe es keine Grundlage. Denn diese Verlustrücklage sei nie in Anspruch genommen worden; weder habe es Einnahmeausfälle noch unvorhersehbare Kostensteigerungen gegeben. Im Gegenteil: Durch den Wegfall des Beitragsdeckels im Jahr 2020 profitiere die Kammer von der dynamischen Umsatzentwicklung mit einem „Luftanteil“ durch Hochpreiser in den Apotheken, ohne dass die rückläufige Apothekenzahl dabei eine Rolle spiele.
Im Prozess könnte es für die Kammer ungemütlich werden, denn Bellinger will im Grunde jeden Stein umdrehen. Dass etwa die Ausgleichsrücklage in diesem Jahr aufgrund von Sanierungen der Immobilie der Kammer auf 500.000 Euro abgeschmolzen werden soll, ist aus seiner Sicht ein durchschaubares Manöver: Die veranschlagten Gesamtkosten von 2,3 Millionen Euro hält er für vollkommen überzogen, wie er im Prozess darlegen will. Und auch die hohen Ansätze für Prozesskosten stellt er in Frage, da die Kammer immerhin vier Juristinnen, davon drei mit Anwaltszulassung, beschäftige und es daher keinen Grund für die laufende Einschaltung externer Kanzleien mit entsprechend Kosten gebe. Auch die Risiken aufgrund der Art der Prozessführung gegen DocMorris & Co. will er thematisieren.
Wüst unternimmt auch noch einen Versuch, im Prozess die Bemessungsgrundlage grundsätzlich überprüfen zu lassen. Aus seiner Sicht ist die aktuelle Beitragsordnung verfassungswidrig, weil die Beiträge ausschließlich anhand des Umsatzes berechnet werden. Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht hätten entschieden, dass der Kammerbeitrag nur dann dem Gleichheitssatz entspreche, wenn er sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kammermitglieder orientiere. Bellinger schließt sich Wüst in seinen Klagen im vollen Umfang an: „Der Umsatz einer Apotheke spiegelt aktuell die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gerade nicht wider“, schreibt etwa Bellinger mit Verweis auf die Zunahme bei den Hochpreisern, die Apotheken in ganz unterschiedlichem Umfang treffe. Dies habe Kathrin Luboldt, Vizepräsidentin der Kammer, kürzlich in einem Statement selbst eingeräumt.
Wüst weist noch auf ein ganz anderes Problem hin. In einem Rundschreiben hatte Hoffmann als Kammerpräsident nämlich die Mitglieder kürzlich aufgefordert, von weiteren Klagen abzusehen: Selbst wenn man „wider Erwarten“ im Falle einer Niederlage vor dem OVG die Rücklagen abschmelzen müsse, werde man „selbstverständlich die nötigen Konsequenzen ziehen und deren Höhe künftig entsprechend anpassen“. Heißt: „Wenn dies perspektivisch zu niedrigeren Beiträgen führen sollte, profitieren Sie unmittelbar von dieser geänderten Haushaltsplanung, ohne selbst Beitragsklage erheben zu müssen.“
„Skandalös“, sagt Wüst dazu. Denn hier würden die Mitglieder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen gezielt getäuscht. Denn die von der Kammer versprochene neue Regelung würde wohl frühestens 2026 greifen. „Die rechtswidrigen Beiträge des Jahres 2025 bekommt ein Apotheker jedoch nur dann zurück, wenn er gegen die Beitragsbescheide des Jahres 2025 klagt. Durch diese Vorspiegelung falscher und Unterdrückung wahrer Tatsachen wird ein entsprechender Irrtum beim Apotheker erregt und unterhalten. Der Apotheker wird dadurch abgehalten, Klage einzureichen, trifft also eine Vermögensdisposition und erleidet einen Vermögensverlust.“

Genau darum dürfte es der Kammer laut Bellinger aber gegangen sein. Denn nach dem Urteil des VG Düsseldorf muss sie bei Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids den Betrag voll erstatten, nicht nur quotierlich. „Würden alle Mitglieder gleichzeitig klagen, wäre das eine Katastrophe für die Kammer. Sie müsste dann die Beiträge erstatten, die sie im Zweifel ausgegeben hat.“ Die Rücklagen reichen aus seiner Sicht aktuell für rund zwei Quartale. „Da die Kammer das aber länger aussitzen will bis zur Entscheidung des OVG Münster, kommt sie bei massenhaften Klagen da in einen sehr gefährlichen Grenzbereich.“
Die jetzt eingereichten Klagen mögen zwar zu erhebliche Unruhe unter den Mitgliedern führen; finanziell tun sie der Kammer aus seiner Sicht aber nicht wirklich weh. „Das Geld, das die nicht klagenden Apotheken auf die Beitragsbescheide zahlen, verbleibt ja bei der Kammer. Das ist so immens mehr, als sie auf die aktuellen Klagen erstatten muss, dass sie das einfach ‚aussitzt‘. Die Kammer nimmt mit ihrem aktuellen Verhalten in meinen Augen einfach so viel Geld mit, wie sie noch zu fassen kriegt.“
