„Wissen kann helfen, bessere Medikamente zu entwickeln“

Krebs: Forschende entschlüsseln Kinaseabbau

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Wien -

Kinase-Inhibitoren zählen zu den wichtigsten Waffen der Krebsmedizin. Sie sind in der Lage, Enzyme ausschalten, die ein unkontrolliertes Zellwachstum antreiben. Doch nicht nur das: Bestimmte Vertreter können ihre Zielproteine sogar vollständig abbauen. Eine neue Studie zeigt nun erstmals, wie weit dieses Phänomen reicht.

Protein-Kinasen fungieren wie molekularen Schalter, indem sie Phosphatgruppen auf andere Proteine übertragen. Auf diese Weise sind sie in der Lage, Wachstum, Kommunikation, Teilung und das Überleben von Zellen zu steuern. Sind diese Schalter dauerhaft aktiv, können sie Krankheiten – darunter auch Krebs – auslösen.

Kinasen zählen deshalb zu den wichtigsten therapeutischen Zielstrukturen der modernen Medizin. Bislang wurden mehr als 80 Kinase-Inhibitoren von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zugelassen. Fast doppelt so viele befinden sich derzeit in klinischer Entwicklung.

Neuer Wirkmechanismus entdeckt

Ursprünglich wurde mit diesen Stoffen lediglich das Ziel verfolgt, die enzymatische Aktivität der Protein-Kinasen zu blockieren. Das Team unter Leitung des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin und dem AITHYRA Institut für Künstliche Intelligenz in der Biomedizin entdeckte kürzlich einen weiteren Wirkmechanismus: Viele Inhibitoren beschleunigen zusätzlich auch den Abbau einzelner Kinasen.

Frühere Beobachtungen hatten bereits Hinweise auf dieses Potenzial gegeben; das Ausmaß und der dahinterstehende Mechanismus waren bislang aber unklar. Deshalb analysierten die Forschenden in der Zellkultur 98 Kinasen und testeten sie an 1570 Inhibitoren. Das Ergebnis: 232 Wirkstoffe senkten die Levels von mindestens einer Kinase in den Zellen. Insgesamt 66 der getesteten Stoffe waren betroffen.

Inhibitoren können zusätzlich destabilisieren

Die Forschenden konnten aufzeigen, dass die Kinasen durch ihre Inhibitoren in intrinsisch instabile Zustände versetzt werden können – etwa durch Veränderungen ihrer Aktivität, Lokalisation in der Zelle oder durch die Formation von Proteinkomplexen. Diese veränderten Formen werden dann vom zelleigenen Kontrollsystem erkannt und in der Folge abgebaut.

„Wir waren überrascht, wie häufig dieser Effekt auftritt“, sagt Natalie Scholes, Senior Postdoc am CeMM und Erstautorin der Studie. „Kleine Moleküle blockieren nicht nur die Aktivität einer Kinase, sie können sie auch in instabile Zustände versetzen, die die Zelle dann erkennen kann und beseitigt. Inhibitoren können also zugleich destabilisierend wirken – das erweitert unser Verständnis ihres Wirkungspotenzials erheblich.“

Drei unterschiedliche Fälle, gleiches Wirkprinzip

Um die Mechanismen im Detail zu verstehen, untersuchte das Team drei unterschiedliche Fälle:

  • Bei der Kinase LYN führte der Inhibitor innerhalb weniger Minuten zum Abbau des Proteins, weil er einen natürlichen Stabilitätsschalter auslöste.
  • Bei der Kinase BLK wurde erst dann zerstört, als ein Enzymkomplex sie von der Zellmembran in das Zellinnere verlagerte.
  • RIPK2 wurde abgebaut, nachdem der Inhibitor die Bildung von Proteinaggregaten auslöste, die die Zelle über ihre Recyclingwege entsorgte.

Potenzial für bessere Medikamente

„Der durch Inhibitoren ausgelöste Proteinabbau ist kein Zufall, sondern Teil des pharmakologischen Spektrums dieser Substanzen“, erklärt Georg Winter, Life Science Direktor des AITHYRA-Instituts für Biomedizinische KI und Adjunct Principal Investigator am CeMM. „Dieses Wissen kann helfen, bessere Medikamente zu entwickeln – Wirkstoffe, die krankmachende Proteine nicht nur stumm schalten, sondern sie ganz aus der Zelle entfernen.“ In manchen Fällen liefert das laut Winter eine Erklärung für Therapieeffekte, die bislang unerklärlich erschienen.

Die Studie mit dem Titel „Inhibitors supercharge kinase turnover via native proteolytic circuits“ entstand unter der Leitung von Wissenschaftler:innen am CeMM und AITHYRA in Wien sowie am Institut für biomedizinische Forschung (IRB) in Barcelona, gemeinsam mit Partnern in Europa, den USA und China. Sie wurde kürzlich im Fachmagazin Nature veröffentlicht.

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