585 Arzneimittel nicht lieferbar

Engpässe: „Verantwortung nicht allein bei Apotheken“

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Berlin -

Lieferengpässe sind tagtäglich Thema in den Apotheken. Aktuell listet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 585 Arzneimittel offiziell als nicht lieferbar. „Jede Lieferunterbrechung bedeutet für Apotheken erheblichen Mehraufwand“, erklärt Martin Schulze, Leiter der pharmazeutischen Kundenbetreuung bei Mycare. Er warnt: „Die Verantwortung, Arzneimittel für Patienten lieferfähig vorzuhalten, darf nicht allein bei Apotheken liegen.“

Die Lieferengpässe betreffen wichtige Therapiefelder wie die Psychiatrie, Onkologie, Kardiologie und die Behandlung von Stoffwechselerkrankungen. „Derzeit fehlen mehrere häufig eingesetzte Wirkstoffe. Besonders betroffen sind das Alzheimer-Medikament Galantamin, das nur noch per Einzelimport erhältlich ist, das Psychopharmakon Quetiapin in der Retard-Form sowie Methyldopa, ein wichtiges Mittel gegen Schwangerschaftsbluthochdruck, für das es kaum Alternativen gibt, so Schulze.

Auch weitere zentrale Therapien seien nur eingeschränkt verfügbar. „Darunter Methylphenidat für ADHS, Paliperidon-Depotpräparate bei Schizophrenie, Atorvastatin zur Cholesterinsenkung, Insulin aspart für Diabetespatienten und einzelne Chemotherapeutika wie Epirubicin.“

Erheblicher Mehraufwand

Er stellt klar: „Jede Lieferunterbrechung bedeutet für Apotheken erheblichen Mehraufwand. Präventive Maßnahmen zur Lagerhaltung, die Suche nach verfügbaren Alternativen und der damit verbundene Dokumentationsaufwand nehmen massiv zu.“ Hinzu komme das Retax-Risiko, wenn aufgrund der Engpässe von Rabattverträgen abgewichen werden müsse. „Diese Risiken entstehen, wenn Krankenkassen die Kosten für ein abgegebenes, aber nicht rabattiertes Präparat im Nachhinein nicht erstatten“, erklärt Schulze.

Der bürokratische Druck erhöhe den Stresspegel. „Zudem sind Patienten zunehmend unzufrieden. Denn sie müssen länger warten, mehrfach Rücksprache mit Arztpraxen halten und erleben Unsicherheit, ob ihre Therapie fortgesetzt werden kann“, so Schulze. All das beeinträchtige die Therapiesicherheit und gefährdet langfristig das Vertrauen in die Arzneimittelversorgung.

Patienten benötigen neues Rezept

Laut BfArM liegt ein Engpass vor, wenn ein Medikament länger als zwei Wochen nicht ausgeliefert werden kann oder die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt. „Kritisch wird es, wenn trotz Alternativen die Behandlung gefährdet ist: Dann spricht man von einem Versorgungsengpass“, so Schulze. „In vielen Fällen können wir die Versorgung sichern, doch das kostet Zeit“, macht er deutlich. Häufig sei ein neues Rezept nötig.

„Für Patienten bedeutet das zusätzliche Wege, längere Wartezeiten und die Sorge, im entscheidenden Moment nicht ausreichend versorgt zu sein“, so Schulze. Besonders kritisch sei die Lage bei sogenannten Orphan Drugs für seltene Erkrankungen. „Diese Medikamente haben oft Marktexklusivität, sodass es keine gleichwertigen Alternativen gibt und Ausfälle sofort zu echten Versorgungsnotständen führen. Jede Verzögerung bedeutet hier ein hohes Risiko für die Therapiesicherheit und die Therapieadhärenz.“

Folgen für Versorgungssicherheit

Die Engpässe entstehen durch Produktionsausfälle, Qualitätsprobleme, Engpässe bei Wirkstoffen oder Verpackungsmaterialien. „Sowie durch die starke Abhängigkeit von wenigen Herstellern und Importen aus Asien“, so Schulze. „Rabattverträge, die ausschließlich auf den niedrigsten Preis ausgerichtet sind, verschärfen die Situation zusätzlich. Durch die konsequente Absenkung von Festbeträgen und Ausschreibungen im generischen Markt ist es für viele Hersteller wirtschaftlich unattraktiv geworden, den deutschen Markt überhaupt noch zu bedienen.“ Das habe unmittelbare Folgen für die Versorgungssicherheit in Deutschland.

Zwar arbeite das BfArM aktuell am Aufbau eines Frühwarnsystems, das künftig durch regelmäßige Datenmeldungen der Hersteller zu Produktion und Lagerbeständen drohende Arzneimittelengpässe frühzeitig erkennbar machen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen ermöglichen soll. „Aus Sicht von mycare reicht das jedoch nicht aus“, so der Apotheker.

Mehr als nur Frühwarnsystem

Er warnt: „Die Verantwortung, Arzneimittel für Patienten lieferfähig vorzuhalten, darf nicht allein bei Apotheken liegen.“ Bei Rabattverträgen dürfe nicht nur der niedrigste Preis entscheidend sein. „Genauso wichtig ist, dass die Hersteller die Medikamente dauerhaft zuverlässig liefern können. Neben einem verbindlichen Frühwarnsystem braucht es klare Sanktionen bei Verstößen, flexible Import- und Bevorratungspflichten für versorgungsrelevante Präparate sowie politische Rahmenbedingungen, die eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa ermöglichen.“ Nur so ließen sich Abhängigkeiten verringern, die Versorgung langfristig sichern und das Vertrauen der Patienten in die Arzneimittelsicherheit erhalten.

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