Was, wenn Patientinnen und Patienten künftig nicht mehr persönlich zu klinischen Studien antreten oder Risiken eingehen müssten? Forschende von Novartis, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und dem Helmholtz Zentrum München haben in einem vierjährigen Projekt digitale Zwillinge entwickelt – virtuelle Abbilder realer Menschen auf Basis anonymisierter Gesundheitsdaten. In einer aktuellen Studie sagten diese Modelle den Verlauf von Brustkrebs präzise voraus und könnten künftig nach Einschätzung der Forschenden einen Teil realer Kontrollgruppen ersetzen.
Digitale Zwillinge sind virtuelle Abbilder realer Patientinnen und Patienten, die aus anonymisierten Gesundheitsdaten mithilfe von KI erstellt werden. Sie können in klinischen Studien als Kontrollgruppen dienen, um herkömmliche Gruppen zu ergänzen oder zu ersetzen. Ziel ist es, Wirkstoffe gezielter zu prüfen, Studienabbrüche zu vermeiden und Patientinnen und Patienten schneller Zugang zu neuen Therapien zu ermöglichen – insbesondere bei seltenen Erkrankungen oder ethisch schwierigen Studiensituationen.
„Digitale Zwillinge und KI eröffnen völlig neue Möglichkeiten in der klinischen Forschung“, betont Dr. Benjamin Gmeiner, Head of Medical Data Strategy & Science bei Novartis Deutschland. „Sie bieten Vorteile für teilnehmende Patient:innen und helfen uns, Studien effizienter zu gestalten und die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen. Die positiven Ergebnisse unserer aktuellen Studie markieren einen wichtigen ersten Meilenstein in der Umsetzung der Digital-Twin-Strategie von Novartis.“
In dieser aktuellen Studie wurde untersucht, wie gut sich mithilfe von KI das Überleben von Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs vorhersagen lässt. Die digitalen Patientenprofile basierten dabei auf Merkmalen wie Alter, Geschlecht, genetischen Informationen und medizinischer Vorgeschichte. Daraus konnten mittels Simulationstechnologien Studienergebnisse für Kontrollgruppen berechnet werden. Ziel war es, die Vorhersagegenauigkeit für Gesamtüberleben und progressionsfreie Überlebenszeit über Zeiträume von sechs bis 36 Monaten zu prüfen.
Dafür wurden unterschiedliche Rechenverfahren miteinander verglichen, um zu ermitteln, wie lange Patientinnen leben und wie lange ihre Erkrankung stabil bleibt. Die Grundlage dafür bildeten Patient:innendaten aus den deutschen Brustkrebsstudien Ribecca und Ribanna, die so vereinheitlicht wurden, dass sie direkt miteinander vergleichbar waren.
Dabei erwies sich ein Verfahren als besonders genau bei der Vorhersage der Lebenserwartung, ein anderes bei der Einschätzung der Zeit bis zum Fortschreiten der Krankheit. Die Forschenden identifizierten zudem die stärksten Einflussfaktoren auf die Prognosen – darunter Lebermetastasen, vorangegangene Therapien, gewählte Behandlungsschemata und die Lebensqualität der Patientinnen. Die entwickelten Modelle bilden zentrale Bausteine für den Digitalen Zwilling und zeigen, wie sorgfältig strukturierte Daten und KI die Präzisionsmedizin gezielt voranbringen können.
„Die Studie hat gezeigt wie KI-Modelle auf Basis von klinischen Studien- und Real-World-Daten präzise Vorhersagen zum Gesamtüberleben und progressionsfreien Überleben bei Patientinnen ermöglichen können“, erklärt Professor Dr. Björn Eskofier, Leiter des Lehrstuhls für Maschinelles Lernen und Datenanalytik an der FAU. „Die im Rahmen der Studie entwickelten Prognosemodelle bilden essenzielle Bausteine des Digitalen Zwillings-Modells. Die Arbeit besitzt daher hohe strategische Relevanz und demonstriert, wie harmonisierte Daten und KI die Präzisionsmedizin voranbringen können.“
Künftige Arbeiten sollen laut Novartis zeitabhängige Einflussfaktoren berücksichtigen, externe Validierungen durchführen und die Nutzung digitaler Zwillinge in klinischen Prüfungen von Behörden auf Einzelfallbasis prüfen lassen.
Die Studie mit dem Titel „Machine Learning Predictions of Overall and Progression-Free Survival in Advanced Breast Cancer“ wurde von Novartis Deutschland, der FAU und dem „Institute of AI for Health“ des Helmholtz Zentrums München durchgeführt und in der Fachpublikation Lecture Notes in Computer Science von Springer Nature veröffentlicht. Außerdem wurden sie auf der 23. International Conference on Artificial Intelligence in Medicine (AIME 2025) präsentiert.
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