Alter, Geschlecht, Gewicht

Diabetes: Neue Formel zur Berechnung des Risikos

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Berlin -

Die Bevölkerung erkrankt immer häufiger an Diabetes. Ursachen sind insbesondere der Lebensstil und die Ernährungsgewohnheiten. Forschende haben nun eine Formel entwickelt, mit der sich das Risiko anhand von bestimmten Parametern recht zuverlässig hervorsagen lässt.

In Deutschland leben etwa 7 Millionen Menschen mit Diabetes. Davon sind über 90 Prozent an Typ-2-Diabetes erkrankt. Etwa 340.000 Erwachsene und über 37.000 Kinder und Jugendliche sind von Typ-1-Diabetes betroffen. Besonders prekär: Auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes wächst stetig.

Prognose des Risikos

Forschende fokussierten in einer retrospektiven Kohortenstudie nun die Frage, wie sich das Diabetesrisiko besser prognostizieren lässt. Anhand weniger Routineparameter wie Nüchternblutzucker, Alter, Geschlecht und Body-Mass-Index (BMI) ließ sich das Risiko, in den nächsten zehn Jahren zu erkranken, recht zuverlässig vorhersagen. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachjournal JAMA Network Open veröffentlicht.

In der Analyse untersuchten Dr. Aoife M. Egan von der Mayo Clinic, Rochester, Minnesota und sein Team, etwa 45.000 US-amerikanische Erwachsene im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. In einem Zeitraum von rund sieben Jahren erkrankten mehr als 8 Prozent von ihnen an Diabetes. Im Zehn-Jahres-Verlauf lag das Risiko insgesamt bei fast 13 Prozent.

Werte im oberen Normalbereich

Laut den Forschenden war auffällig, dass bereits Nüchternblutzucker-Werte im oberen Normalbereich (95–99 mg/dl, entsprechend 5,3-5,5 mmol/l) das Risiko, an Diabetes zu erkranken, deutlich erhöhten. Mehr noch: Kam Übergewicht hinzu, verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit für Diabetes sogar. Das Risiko vervierfachte sich mit steigenden Werten.

„Die Studienergebnisse zeigen: Schon kleine Erhöhungen des Nüchternblutzuckers von 95 bis 99 mg/dl, verbunden mit einer leichten Erhöhung des BMI über 25 bis 29,9 kg/m2 erhöht bereits das Diabetesrisiko um 12 Prozent“, so Egan.

Diabetes-Risiko bei 56 Prozent

Bei einem BMI zwischen 30 und 34,9 kg/m2 und einem Nüchternblutzucker zwischen 100 bis 104 mg/dl liege das Risiko laut den Studiendaten schon bei 26 Prozent. „Ist der BMI über 40 und der Nüchternblutzucker liegt noch nicht im Diabetesbereich – also zwischen 120 und 125 mg/dl – liegt das Risiko für einen manifesten Diabetes bei 56 Prozent“, erklärt Professor Dr. Julia Szendrödi, Ärztliche Direktorin am Universitätsklinikum Heidelberg und Präsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).

Für Szendrödi ist die wichtigste Botschaft der Studie demnach: „Ist der Schwellenwert für einen manifesten Diabetes mellitus – HbA1c > 6,5 Prozent – noch nicht erreicht, bedeute das keinesfalls Entwarnung.“ Zwar weisen Hausärztinnen und Hausärzte häufig auf ein erhöhtes Risiko hin. Aber: „Dennoch höre ich oft, dass Patientinnen oder Patienten diese Warnung herunterspielen und auf die Frage ‚Haben Sie Diabetes?‘ antworten: ‚Nein, mein Hausarzt sagt zwar schon länger, dass der Blutzucker grenzwertig ist – aber zum Glück habe ich das noch nicht‘“, so Szendrödi.

Fest steht jedoch, dass ein Prädiabetes nicht nur das Risiko erhöht, dass sich daraus zeitnah ein manifester Diabetes mellitus entwickelt, sondern auch die Wahrscheinlichkeit für diabetesbedingte Komplikationen bereits bei einer prädiabetischen Stoffwechsellage steigt.

Tabelle zum Diabetes-Risiko

Zur Verdeutlichung hat die Forschungsgruppe eine Tabelle mit drei Risiko-Kategorien erstellt, mit der sich das individuelle Risiko für die kommenden 10 Jahre berechnen lässt:

  • Referenzgruppe:niedrigstes Risiko, ca. 5 Prozent, Frauen unter 30 Jahren, BMI 18,5–24,9 kg/m2 und Nüchternblutzucker 80–94 mg/dl (4,4-5,2 mmol/l)
  • Leicht erhöhtes Risiko: etwa 12 Prozent Nüchternblutzucker 95–99 mg/dl (5,3-5,5 mmol/l) oder BMI 25–29,9 kg/m2
  • Mittleres Risiko: etwa 26 Prozent: Kombination aus BMI 30–34,9 kg/m2und Nüchternblutzucker 100–104 mg/dl (5,6-5,8 mmol/l)
  • Hohes Risiko:bis 56 Prozent: BMI ≥40 kg/m2und Nüchternblutzucker 120–125 mg/dl (6,7-6,9 mmol/l), besonders bei Männern ab 60 Jahren

Risiko nicht vernachlässigen

Ein eigentlich gesunder 50-Jähriger, mit einem HbA1C bei 6,1, der nicht übergewichtig ist, sich gesund ernährt und ausreichend bewegt, weist somit bereits ein erhöhtes Risiko auf. Denn: „Auch wenn – wie in diesem Fall – das Übergewicht fehlt und der Lebensstil günstig ist, zeigt die Studie, dass ein Prädiabetes-Bereich oder ein Nüchternblutzucker über 95 mg/dl bereits ein relevantes Progressionsrisiko birgt.

Normalgewichtige haben zwar ein niedrigeres Risiko als adipöse Patienten, aber das Risiko ist keineswegs vernachlässigbar. Das 10-Jahres-Risiko liegt dann bei diesen Patienten bei rund 7 Prozent“, erklärt Szendrödi. „Bereits das Zusammenspiel zwischen nur ganz leicht erhöhtem Nüchternblutzucker und leicht erhöhtem Gewicht erhöht das Risiko deutlich.“

In normale Glukosetoleranz zurück

Deswegen lautet der Appell: „Insbesondere bei solchen Patienten sollte einmal im Jahr der HbA1c-Wert erhoben werden, und das kardiovaskuläre Risiko – Stichwort Familienanamnese für Diabetes Typ 2, aber auch für Herzinfarkt und Schlaganfall – muss erfasst werden“, so die Forschenden. Und weiter: „Eine Untersuchung der Intima-Media-Dicke (IMD) der Karotiden liefert Hinweise, ob bereits eine vaskuläre Belastung vorliegt.“ Insbesondere die Lipid-Spiegel sollten erhoben werden.

„Weisen Patienten einen Prädiabetes auf, muss man versuchen, diese Patienten in die normale Glukosetoleranz zurückzubringen“, betont Szendrödi.

Prävention nicht nur Patientensache

Prävention dürfe nicht allein auf die Patienten abgewälzt werden: „Prävention findet in Deutschland zu wenig statt und ist unterfinanziert. Wir brauchen aber entsprechende Rahmenbedingungen, die gewährleisten, dass es leicht fällt, sich gesund zu ernähren“, so die Expertin. Dazu gehöre die dauerhafte Mehrwertsteuer-Befreiung für Obst und Gemüse und eine Herstellerabgabe für zuckergesüßte Getränke, betont sie. „Das gelingt in anderen Ländern, bei uns leider nicht.“

Und weiter: „Prävention muss schon in der Kindheit ansetzen. Eine Stunde Sport pro Tag würde schon viel helfen. Wichtig wäre auch, dass Kinder – beispielsweise beim Fernsehen – nicht ständig der Werbung von ungesunden Lebensmitteln ausgesetzt sind. Das hilft nicht nur den Kindern selbst, sie tragen das auch nach Hause in die Familien“, so Szendrödi.

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