Neue Studienergebnisse

Demenz: „36 Prozent der Fälle sind vermeidbar“

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Berlin -

In Deutschland leben aktuell etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Laut neuen Forschungsergebnissen könnten zukünftig etliche Fälle durch gezielte Präventionsmaßnahmen vermieden werden.

Die in Deutschland auftretenden Demenzfälle wären zu rund 36 Prozent positiv beeinflussbar. Das zeigt die Studie „Dementia in Germany: Epidemiology and Prevention Potentialvon“ von Forschenden des Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort Rostock/Greifswald und der Harvard Medical School. Für die Analyse wurden aktuelle Daten aus dem Deutschen Alterssurvey 2023 ausgewertet. Die 5000 Teilnehmenden waren Personen ab 40 Jahren. Die Ergebnisse wurden im „Deutschen Ärzteblatt International“ veröffentlicht.

Wie lassen sich Demenzfälle reduzieren?

Im Fokus der Studie standen veränderbare Risikofaktoren, mit denen sich die Anzahl der Demenzfälle reduzieren ließe. Konkret sind dies Einflüsse, die sich durch einen gesunden Lebensstil, gute medizinische Versorgung oder bessere gesellschaftliche Rahmenbedingungen manipulieren lassen.

Die internationale Lancet-Kommission fasst insgesamt 14 solcher Faktoren zusammen. Zwölf von ihnen konnten in der aktuellen Studie untersucht werden. Dazu gehören unter anderem:

  • Bluthochdruck
  • zu hohe Blutfettwerte
  • körperliche Inaktivität
  • Depressionen
  • niedriges Bildungsniveau
  • Schwerhörigkeit

Demenz-Risikofaktoren eindämmen

Das Ergebnis: Die Forscher:innen schätzen, dass 36 Prozent der Demenzfälle auf diese veränderbaren Risikofaktoren zurückzuführen sind. Demnach wären bei Eindämmung der bekannten 14 Risikofaktoren sogar rund 45 Prozent aller Demenzerkrankungen weltweit vermeidbar oder könnten hinausgezögert werden. „Der Mehrwert der aktuellen Studie besteht darin, dass dieses Potenzial von uns nun speziell für die Situation in Deutschland untersucht wurde“, erklärt Professor Dr. René Thyrian vom DZNE-Standort Rostock/Greifswald.

Auch eine Modellrechnung, die sich an die Ergebnisse der Studie anlehnt, zeigt: Schon eine Reduktion der Risikofaktoren um 15 Prozent könnte bis 2050 etwa 170.000 Fälle verhindern, bei 30 Prozent Reduktion wären es sogar mehr als 330.000 Fälle, betonen Thyrian und Erstautorin Dr. Iris Blotenberg von der Harvard Medical School.

Diese Demenz-Risikoprofile gibt es

Eine Vielzahl der genannten Faktoren lassen sich nicht nur über individuelles Verhalten beeinflussen. Es brauche die gezielte Gesundheitsversorgung und soziale Rahmenbedingungen, so die Forschenden. Weil nicht alle Menschen die gleichen Risiken für Demenzerkrankungen aufweisen, untersuchten die Forschenden neben dem Gesamtrisiko zusätzlich typische Risikomuster in der Bevölkerung. Mit der sogenannten Latent-Class-Analyse identifizierten sie mehrere Risikoprofile, die sich wie folgt einordnen lassen:

  • Stoffwechsel-Profil (metabolisch): etwa 18 Prozent der Menschen, häufig Bluthochdruck, Übergewicht, erhöhte Cholesterinwerte und Diabetes
  • Sinnes-Profil: etwa 23 Prozent der Menschen, vor allem Hör- und Sehbeeinträchtigungen
  • Alkohol-Profil: etwa 24 Prozent der Menschen, erhöhtes Risiko durch Alkoholkonsum
  • Niedrigrisiko-Profil: etwa 36 Prozent der Menschen, insgesamt wenige Risikofaktoren

Die Risikoprofile sind laut den Forschenden klar mit sozialen und regionalen Merkmalen verknüpft. Darunter: Alter, Bildung, Region und Stadt-Land-Unterschiede. Auffällig war, dass Menschen in Ostdeutschland und in ländlichen Regionen häufiger zu den Risikogruppen gehören. Aber auch ältere Männer und Personen mit niedriger Bildung sind überdurchschnittlich betroffen.

Demenz-Prävention hat enormes Potenzial

„Unserer Kenntnis nach ist dies eine der ersten Studien, die solche Untergruppen auf Basis national repräsentativer Daten für Deutschland beschreibt“, so Thyrian. „Die Ergebnisse zeigen, dass Demenzprävention in Deutschland ein enormes Potenzial hat – und dass Risiken in der Bevölkerung sehr unterschiedlich verteilt sind. Prävention sollte deshalb nicht nach dem ‚Gießkannenprinzip‘ laufen, sondern dort ansetzen, wo Risiken gebündelt auftreten.“

Blotenberg ergänzt: „Unsere Ergebnisse eröffnen die Chance, Präventionsmaßnahmen passgenauer zu planen – etwa mit einem Schwerpunkt auf psychischer Gesundheit, Hörversorgung und metabolischen Erkrankungen dort, wo der Bedarf am größten ist. Wenn Präventionsangebote an typische Risikomuster angepasst werden, können wir wirksamer und zugleich gerechter vorbeugen –nicht nur Demenz, sondern auch weiteren Erkrankungen, die mit diesen Mustern verbunden sind.“

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