Menschen mit ADHS, die medikamentös behandelt werden, haben ein geringeres Risiko für suizidales Verhalten, Substanzmissbrauch, Verkehrsunfälle und Kriminalität. Das zeigt eine Studie der University of Southampton und des Karolinska-Instituts in Schweden.
ADHS betrifft weltweit etwa fünf Prozent der Kinder und 2,5 Prozent der Erwachsenen. Die Störung ist mit erhöhten Risiken für suizidales Verhalten, Substanzmissbrauch, Unfälle, Verkehrsunfälle und Kriminalität verbunden.
Die im Fachjournal The BMJ veröffentlichte Studie „ADHD drug treatment and risk of suicidal behaviours, substance misuse, accidental injuries, transport accidents, and criminality: emulation of target trials “ zeigt, dass Personen, die über zwei Jahre eine pharmakologische Behandlung erhielten, seltener von solchen Vorfällen, betroffen waren als jene, die keine Medikamente einnahmen.
„Diese Vorteile könnten durch eine Verringerung der Impulsivität und eine Verbesserung von Aufmerksamkeit und exekutiven Funktionen erklärt werden“, erklärt Samuele Cortese, National Institute for Health and Care Research (NIHR) Research Professor an der University of Southampton und Autor der Studie. „Zum Beispiel könnte eine reduzierte Impulsivität die Kriminalität senken, indem aggressives Verhalten eingedämmt wird, während eine erhöhte Aufmerksamkeit das Risiko von Verkehrsunfällen verringern könnte, indem Ablenkungen minimiert werden.“
Besonders deutlich zeigte sich der Nutzen bei Menschen mit wiederkehrendem Verhalten, etwa bei mehrfachen Suizidversuchen, zahlreichen Rückfällen in den Drogenkonsum oder wiederholten Straftaten. Bei erstmaligen Unfällen konnte kein Rückgang festgestellt werden, jedoch sehr wohl bei wiederholten Vorfällen. Es handelt sich um die erste Studie, die den positiven Effekt von ADHS-Medikamenten auf diese breiteren klinischen Ergebnisse mit Hilfe einer neuartigen statistischen Methode und auf Basis von Daten belegt, die alle Patienten in der Routineversorgung eines ganzen Landes repräsentieren.
Das internationale Forscherteam untersuchte, ob Medikamente diese Risiken senken können. Grundlage waren mehrere Bevölkerungs- und Gesundheitsregister in Schweden, die durch die für alle Einwohner vergebene persönliche Identifikationsnummer miteinander verknüpft wurden.
Dafür nutzten die Wissenschaftler ein neuartiges Studiendesign, die sogenannte „Trial Emulation“. Mit diesem Ansatz simulierten sie eine klinische Studie anhand realer Daten von 148.581 Menschen mit ADHS. Verglichen wurden diejenigen, die innerhalb von drei Monaten nach der Diagnose mit einer Medikation begannen, mit denjenigen ohne Behandlung. Über zwei Jahre hinweg werteten die Forscher die Daten aus.
Das Ergebnis: Medikamente reduzierten das erstmalige Auftreten von vier der fünf untersuchten Vorfälle – mit Ausnahme von Unfällen – sowie alle fünf Ergebnisse bei wiederkehrenden Vorfällen. Besonders deutlich war der Effekt bei der Einnahme von Stimulanzien, die mit den niedrigsten Raten der Vorfälle verbunden waren. Nicht-stimulierende Medikamente schnitten schwächer ab.
„Dieses Ergebnis stimmt mit den meisten Leitlinien überein, die Stimulanzien in der Regel als Behandlung erster Wahl empfehlen, gefolgt von Nicht-Stimulanzien“, erklärt Dr. Zheng Chang, Senior-Autor der Studie des Karolinska-Instituts. „Es gibt eine laufende Diskussion darüber, ob Methylphenidat, ein stimulierendes Medikament gegen ADHS, in die Modellliste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen werden sollte, und wir hoffen, dass diese Forschung zur Klärung dieser Debatte beiträgt.“
Professor Cortese betont: „Das Versagen der klinischen Dienste, rechtzeitig Behandlungen bereitzustellen, die diese wichtigen Ergebnisse verringern, stellt ein erhebliches ethisches Problem dar, das dringend angegangen werden muss – mit dem entscheidenden Input von Menschen mit gelebter Erfahrung. In England arbeitet die NHS-ADHS-Taskforce intensiv daran, dieses Problem zu bewältigen.“
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