Bei der Frage der Zulässigkeit von Rx-Boni könnten aus Sicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) für Versandapotheken strengere Regeln gelten als für niedergelassene Apotheken. Laut dem Beschluss vom 8. Juli sind Bonusmodelle zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln im Einzelfall zu prüfen. Die „Spürbarkeitsschwelle“ soll dabei auch von der Größe der Apotheke abhängen.
Den Richtern zufolge ist nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Rx-Boni ein „ungeklärter Graubereich“ geblieben - zumal jeweils unterschiedliche Bonusmodelle betroffen gewesen seien. Aus diesem Grund dürften die Grenzen nicht starr bei einem bestimmten Betrag gezogen werden, heißt es in dem OVG-Beschluss. Selbst Boni von unter einem Euro könnten demnach verboten werden.
Die Richter legen zwei Maßstäbe an die „Spürbarkeitsschwelle“ an: Je mehr der Bonus einem Barrabatt gleiche, desto niedriger sollte der Wert veranschlagt werden. Während direkte Barrabatte grundsätzlich unzulässig seien, könne der Wert bei Bonussystemen ohne direkten Geldbezug auch höher liegen.
Entscheidend ist aus Sicht der Richter zweitens die Reichweite der Rabattaktion. Je mehr die Kundenbindungssysteme „den lokalen Bereich verlassen“, desto schneller sei die Spürbarkeitsschwelle erreicht, so das OVG. Mit Blick auf die flächendeckende Versorgung sei zu berücksichtigen, „dass die Aktivitäten von landes- oder bundesweit agierenden (großen) Versandapotheken insoweit größere faktische Auswirkungen haben können, als diejenigen (kleiner) Präsenzapotheken“, so die Richter. Je nach Einzelfall könnte die Grenze des Zulässigen demnach sogar unter einem Euro liegen.
Im konkreten Fall vor dem OVG ging es um das Bonusmodell einer niedersächsischen Apotheke mit Bonustalern im Gegenwert von 50 Cent. Pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel gibt es dabei einen Taler, der später beim Kauf von OTC- und Freiwahlprodukten eingesetzt werden kann. Die Apothekerkammer Niedersachsen hatte das Modell mit Verweis auf den BGH und die AMPreisV Ende Januar untersagt. Die Beschwerde des Apothekers richtete sich gegen die sofortige Vollstreckung des Verbots.
Das OVG gab dem Apotheker im Eilverfahren mit Beschluss vom 8. Juli Recht. Denn die Richter halten es für wahrscheinlich, dass sich der Apotheker im Hauptsacheverfahren durchsetzen wird. Zwar verstoße die Apotheke gegen die Preisbindung, weil die Spannen auf den Handelsstufen „centgenau“ geregelt seien. Doch müssten die Aufsichtsbehörden bei ihrem Einschreiten die wettbewerbsrechtlichen Vorgaben zumindest im Auge behalten, so das OVG. Schließlich sei eine im Sinne des BGH „nicht spürbare“ Werbemaßnahme kaum geeignet, die flächendeckende Versorgung zu gefährden, was Sinn und Zweck der Arzneimittelpreisbindung ist.
Laut BGH gelten Gutscheine unter einem Gegenwert von einem Euro als geringfügig und sind - aus wettbewerbsrechtlicher Sicht - zulässig. Allerdings bleiben alle Boni laut der Begründung des BGH ein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Dieser könne grundsätzlich auch von den Aufsichtsbehörden verfolgt werden, so der BGH im September 2010.
Einen Freibrief für Rx-Boni unterhalb der „Bagatellgrenze“ haben die OVG-Richter explizit nicht ausgestellt. Möglicherweise wollten sie sich mit dieser Klarstellung weitere Verfahren ersparen. In zwei weiteren Beschlüssen vom 8. Juli hatte das Gericht den Versandapotheken Aliva und Apotal ihre Boni von 3 Euro pro Rezept beziehungsweise 1,50 Euro pro Arzneimittel verboten. Die Details zu allen drei Rabattmodellen werden nun in den Hauptsacheverfahren umfassend behandelt.
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