EuGH-Verhandlung

Schlagabtausch zum Fremdbesitz

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Die Standpunkte der Parteien waren nach dem Schriftlichen Verfahren klar. Was die 13 Richter der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) heute in Luxemburg im deutschen Vorlage- sowie im italienischen Vertragsverletzungsverfahren von den Beteiligten hören wollten, waren die Argumente für oder wider das Fremdbesitzverbot für Apotheken. Kurz nach 9:30 Uhr ließ der Vorsitzende Richter im voll besetzten Sitzungssaal die Sache aufrufen; seitdem halten die Prozessvertreter sowie die Bevollmächtigten der Regierungen aus den Mitgliedstaaten ihre Plädoyers. Zur Stunde dauert die Sitzung an.

Die Vertreter der EU-Kommission Hannes Krämer machten wie erwartet deutlich, dass aus Sicht der Brüsseler Behörde der Gesundheitsschutz der Bevölkerung durch weniger einschränkende Mittel als ein generelles Fremdbesitzverbot für Apotheken erreicht werden kann. Die Entwicklung der Marktstruktur sei ohnehin Gegenstand des nationalen und europäischen Wettbewerbsrechts und als solche nicht Grundlage für den Ausschluss von Kapitalgesellschaften vom Besitz von Apotheken. Krämer argumentierte, dass die Mitgliedsstaaten zwar sehr wohl die Einhaltung der Vorschriften im Bereich Gesundheitsversorgung sicherstellen müssen, sich aber bei einer über das Notwendige hinaus gehenden Beschränkung der Niederlassungsfreiheit wie dem Fremdbesitzverbot nicht auf ihr eigenes „Kontrollversagen“ berufen könnten.

Die Anwälte der deutschen Apotheker erwiderten prompt, dass das Fremdbesitzverbot ja eben gerade ein Kontrollversagen verhindern soll. Die Erteilung der Betriebserlaubnis an DocMorris durch die saarländischen Behörden war nach Ansicht der Vertreter „nicht normales Verwaltungshandeln, sondern ein Manöver der Rechtspolitik“.

Die Repräsentanten veranschaulichten den Richtern, dass Kapitalgesellschaften aus ihrer Sicht naturgemäßen anfälliger für unrechtmäßiges - also den Profit über die ordnungsgemäße Berufsausübung stellendes - Gewinnstreben seien, da unternehmerische Belange getrennt von fachlichen Angelegenheiten entschieden würden. „Nur in den unabhängigen Apotheken ist die Versorgung Chefsache“, so der Anwalt der Saarbrücker Apothekerin Helga Neumann-Seiwert, Dr. Heinz-Uwe Dettling.

Als Vertreter des Saarlandes warf sich Staatssekretär Wolfgang Schild (CDU), vor Ort begleitet von Minister Gerhard Vigener, in beeindruckender Weise für DocMorris in die Bresche: Schild scheute sich nicht, die EU-Richter auf die Ergebnisse der jüngsten Untersuchungen von Stiftung Warentest hinzuweisen und dabei explizit auf das schlechte Ergebnis der Berliner Apotheken hinzuweisen. Dagegen habe die Versandapotheke DocMorris in einem Vergleich sehr gut abgeschnitten. Auch in der Saarbrücker DocMorris-Apotheke sei die Beratung und Abgabe durch qualifiziertes Personal sichergestellt, so der Ministeriumsgesandte. Ein höheres Gesundheitsrisiko sei in Apotheken unter Kapitalgesellschaften „ausgeschlossen“.

In den anschließenden 15 Minuten versuchte der Vertreter der Celesio-Tochter DocMorris, anhand zahlreicher Fakten, unter anderem aus einer Studie des Duisburger Gesundheitsökonomen Professor Dr. Jürgen Wasem, die von der Gegenseite in ihrer Schriftlichen Stellungnahme vorgebrachten Erfahrungen aus Norwegen zu widerlegen. Es gebe keine Nachweise für die behaupteten Gefährdungszusammenhänge; die Rechtfertigung des Fremdbesitzverbots müsse daher scheitern.

Der Beauftragte der Bundesregierung, Moritz Lumma, verteidigte das Fremdbesitzverbot als wichtiges Instrument, um Interessenkonflikte unter angestellten Apothekern zu vermeiden. Der unabhängige Apothekeninhaber stehe mit seiner ganzen Person dafür ein, dass der gesetzliche Versorgungsauftrag erfüllt wird. In Kapitalgesellschaften kämen dagegen Eigentümer und Apotheker nie in persönlichen Kontakt. Auch die Übertragung der Leitung an einen approbierten Apotheker sei nicht geeignet, um Gesundheitsgefahren einzudämmen, da diese Möglichkeit in der Person des Apothekers selbst liegt.

Die Bevollmächtigten aus den Mitgliedsstaaten verteidigten mehrheitlich das staatliche Hoheitsprinzip bei der Ausgestaltung des Apothekenmarktes. Der spanische sowie der italienische Vertreter warfen der EU-Kommission den Versuch der Harmonisierung durch die Hintertür vor. Weder EU-Parlament noch die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, Apothekerverbände oder Verbraucher seien bei den Beschlüssen konsultiert oder eingebunden worden; eine „größere Revolution der Rechtsordnung“ der EU sei „kaum möglich“, so der spanische Vertreter in seiner Kritik.

Überraschend fiel das Votum der irischen Gesandten aus: Während sich die Beauftragten im Schriftlichen Verfahren noch komplett zum deutschen Fremdbesitzverbot enthalten hatten, gaben sie nun zu bedenken, dass in Irland zwar auch mit einem freien Markt die Versorgung nicht gefährdet sei. Die Entscheidung über die Organisation der Arzneimittelversorgung müsse aber letzten Endes in den Mitgliedsstaaten getroffen werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt stehen noch Plädoyers weiterer Mitgliedsstaaten aus. Erst danach könnte es theoretisch zu einem gewissen Schlagabtausch kommen, wenn den Parteien die Möglichkeit gegeben wird, auf das Gesagte zu antworten. Besonders tief in die Materie vordringen wird man in Luxemburg heute allerdings nicht können; weitere Fakten können jedoch in diesem Prozess nach dem Ende der Veranstaltung nicht mehr vorgebracht werden.

Unauffällig und etwas abseits der Richter folgt auf dem Podium Generalanwalt Yves Bot den Ausführungen der Parteien und Streithelfer. Bot wird in einigen Monaten mit seinem Schlussantrag ein erstes Votum abgeben. Ein Termin dafür wurde bislang nicht bekannt gemacht.

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