Viele Patientinnen und Patienten in Berliner Rettungsstellen sind laut der Berliner Krankenhausgesellschaft keine medizinischen Notfälle. „Oft zeigt die Erfahrung, dass die Rettungsstelle von Menschen als Auffangbecken genutzt wird“, sagte der Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft Marc Schreiner.
Manche Menschen kämen zum Beispiel, weil eine Rippe nach einer zwei Wochen alten Sportverletzung oder eine OP-Narbe von vor einem halben Jahr immer noch wehtue. Es komme auch vor, dass einfach nur der Wunsch nach einem Rezept oder einer Spritze für ein Medikament bestehe. Es gebe auch viele akute Sozialfälle, etwa Obdachlose, die neue Kleidung oder Essen bräuchten.
„Wir nehmen die empfundenen Leiden unserer Patienten sehr ernst“, betonte Schreiner, aber: „Das sind Bedarfe, die im ambulanten Bereich wunderbar aufgehoben sind, aber nicht in die ambulante Akutversorgung einer Rettungsstelle gehören.“ Eine stichprobenartige Anfrage bei Berliner Trägern habe ergeben, dass etwa ein Drittel der in den Zentralen Notaufnahmen behandelten Patientinnen und Patienten stationär aufgenommen werde. Von den übrigen Fällen hätte den Angaben zufolge rund ein weiteres Drittel auch zu einem späteren Zeitpunkt eine niedergelassene Arztpraxis aufsuchen können.
Viele Menschen in Berlin gehen direkt in die Notaufnahme, ohne sich vorher ärztlichen Rat zu holen, wie eine aktuelle Umfrage der AOK Nordost zeigt. Es wurden rund 500 Menschen ab einem Alter von 18 Jahren befragt. Die Umfrage wurde vom Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführt. Etwas weniger als die Hälfte der Befragten hatte zum Zeitpunkt der Befragung in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal selbstständig eine Notaufnahme aufgesucht. Davon gab jeder Vierte (26 Prozent) an, von einem Arzt in die Notaufnahme geschickt worden zu sein.
Nur 8 Prozent hatten sich vorher eine Ersteinschätzung über die 116 117, die Telefonnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, geholt. 42 Prozent sagten, dass sie sich akut zu schlecht gefühlt hätten, um abwarten zu können. Es waren Mehrfachantworten möglich. „Das Personal kommt kaum hinterher, die Menschen zu versorgen“, sagte Schreiner.
„Vorrang in der Rettungsstelle haben die wirklichen Notfälle. So kann es zu langen Wartezeiten kommen, auch bei schmerzhaft empfundenen Behandlungsbedarfen. Das ist natürlich für alle eine unschöne Situation. Wir brauchen dringend eine bessere Patientensteuerung, auch bei der Behandlung durch niedergelassene Ärzte.“
In lebensbedrohlichen Fällen sollten Patienten den Rettungsdienst unter der 112 alarmieren. Die 116 117 hilft außerhalb der Sprechstundenzeiten bei Erkrankungen, mit denen Patienten sonst in die Praxis gehen würden. In Berlin gibt es mehrere Notdienstpraxen für Erwachsene und Kinder.
Die AOK NordWest setzt sich in dieser Frage für die Einführung von integrierten Notfallzentren ein. Diese sollten von Krankenhausträgern und Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam betrieben werden und könnten die Patientensteuerung verbessern, teilte der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse, Tom Ackermann, mit. Er verwies auf das Ergebnis einer ähnlichen repräsentativen Forsa-Befragung wie von der AOK Nordost – hier im Auftrag der AOK NordWest in Schleswig-Holstein.
Demnach haben mindestens 36 Prozent der Menschen, die in den vergangenen fünf Jahren die Notaufnahme einer Klinik aufgesucht haben, dies selbst entschieden. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, so Ackermann. Patienten bräuchten rasch eine Einschätzung ihrer Beschwerden, um auf den richtigen Behandlungspfad gelenkt zu werden. „So können wir eine Überlastung der Notfallversorgung und eine nicht sachgerechte Inanspruchnahme von fachärztlichen Leistungen verhindern.“
Zu den Gründen für das Aufsuchen der Notaufnahme einer Klinik gaben 37 Prozent der Befragten an, sie hätten sich akut zu schlecht gefühlt, um abwarten zu können. „Die Zahlen spiegeln die Unsicherheit der Menschen wider, was bei einem vermuteten Notfall für sie die beste Behandlungsoption ist.“ In vielen Fällen hätte nach Ackermanns Überzeugung ein Anruf beim Patientenservice unter der Nummer 116 117 besser geholfen.
Über den ärztlichen Bereitschaftsdienst gelangten weniger Befragte in die Notaufnahme: 12 Prozent gaben an, nach der Ersteinschätzung unter der 116 117 in die Notaufnahme gegangen zu sein. 24 Prozent waren laut eigenen Angaben von einer Arztpraxis in die Notaufnahme geschickt worden. 7 Prozent erklärten, Angst vor einem Schlaganfall oder Herzinfarkt bekommen zu haben. 8 Prozent gaben an, keinen Facharzttermin bekommen zu haben, bevor sich ihr gesundheitliches Problem verschlimmert habe.
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