Leitlinie aktualisiert

Diabetes im Straßenverkehr: Erhöhtes Unfallrisiko überholt?

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Berlin -

Die verbreitete Vorstellung, Menschen mit Diabetes hätten am Steuer ein erhöhtes Unfallrisiko, ist nach Einschätzung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) überholt. Der Ausschuss „Soziales“ der Fachgesellschaft hat nun die Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ entsprechend aktualisiert. Die neue Fassung zeigt: Moderne Diabetestechnik und Medikamente, die keine Unterzuckerungen bewirken, erhöhen die Sicherheit im Straßenverkehr deutlich.

Seit der ersten Leitlinienfassung aus dem Jahr 2017 habe sich die Diabetesbehandlung spürbar weiterentwickelt. Viele Menschen mit Typ-2-Diabetes erhalten laut DDG heute Medikamente, die keine Unterzuckerungen mehr auslösen.

Bei insulinpflichtigen Menschen kommen zunehmend Systeme zum Einsatz, die den Glukoseverlauf kontinuierlich anzeigen oder die Insulinabgabe automatisiert anpassen. Warnsignale machen kritische Werte frühzeitig sichtbar.

Unterzuckerung bleibt Risikofaktor

„Diese Fortschritte haben die Stoffwechselkontrolle grundlegend verändert“, erklärte Mitautor Dr. Friedrich W. Petry. Zwar bleibe eine Unterzuckerung das größte Risiko im Straßenverkehr; durch moderne Technik und Schulungen sei die Zahl solcher Ereignisse jedoch deutlich gesunken.

Der Diabetologe am Medicum Wetzlar betont, dass das Risiko von Autounfällen bei Menschen mit Diabetes nur leicht erhöht sei, vor allem im Vergleich zu Erkrankungen, die das Unfallrisiko stärker steigern.

Glukose vor Fahrtantritt prüfen

Die Leitlinie empfiehlt Menschen mit Diabetes, unmittelbar vor der Fahrt ihren Glukosewert zu prüfen und nur zu starten, wenn er ausreichend hoch ist. Personen mit kontinuierlicher Glukosemessung sollten Warnfunktionen aktiviert haben. Bei kritischen Werten ist die Fahrt zu unterbrechen, bis der Glukosewert stabilisiert ist.

Laut DDG zeigt die neue Leitlinie, dass berufliche Teilhabe und Fahrsicherheit neu bewertet werden müssen. Viele Ausschlüsse in sicherheitsrelevanten Berufen beruhen auf überholten Annahmen. Dr. Wolfgang Wagener erklärt, viele Vorgaben stammten aus einer Zeit, in der Glukosemessungen nur wenige Momentaufnahmen lieferten. Moderne Technik ermögliche heute eine verlässlichere Kontrolle, weshalb pauschale Ausschlüsse nicht mehr medizinisch begründbar seien.

Disziplin sichert Alltag

Er fordert eine Anpassung der Regelwerke und betont: „Wir können es uns nicht erlauben, auf motivierte und einsatzfähige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verzichten.“ Die Leitlinie verlangt deshalb eine individuelle Bewertung anhand von Therapieform, Erfahrung, Warnsystemen und Schulungen.

Als Beispiel verweist die DDG auf Jens Wicklein, Zollbeamter mit Typ-1-Diabetes, der seit Jahren in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeitet. Er sagt: „Mit Disziplin, Verantwortung und moderner Technik kann ich meinen Alltag sicher gestalten.“ Sein Fazit: „Heute zeigen mein Alltag und der vieler anderer, dass Diabetes kein Ausschlusskriterium mehr sein darf.“

Funktion zählt, nicht Werte

Die Leitlinie fasst alle aktuellen Empfehlungen für Betroffene, medizinische Fachkräfte und Behörden zusammen. Petry betont: „Erhöhte Glukosewerte allein führen nicht zu einer eingeschränkten Fahreignung.“

Entscheidend seien funktionelle Beeinträchtigungen, viele Risiken seien kompensierbar. Die DDG fordert daher Politik und Behörden auf, Vorgaben an den aktuellen Stand der Diabetologie anzupassen. Wagener: „Es ist Zeit, alte Regeln zu überdenken.“

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