SWR-Recherche

Abnehmspritze: „Problemlos Rezepte für Normalgewichtige“

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Berlin -

Dubiose Online-Portale ermöglichen auch gesunden Menschen in Deutschland verschreibungspflichtige Abnehmspritzen wie Ozempic oder Mounjaro zu bestellen – ohne Arztkontakt, nur durch Ausfüllen eines Fragebogens. Der SWR hat das getestet und berichtet, wie leicht die Medikamente zugänglich sind. Experten und Verbraucherschützer warnen vor massiven Gesundheitsrisiken, fehlender Kontrolle und dem Geschäft mit der Lifestyle-Kundschaft.

Abnehmspritzen sind auch für Normalgewichtige relativ leicht im Onlinehandel zu bestellen. Laut „team.recherche“ des SWR konnte sich so auf mehreren medizinischen Online-Plattformen eine gesunde und normalgewichtige junge Frau Rezepte ausstellen zu lassen und Abnehmspritzen kaufen. Ohne jemals in einer Arztpraxis gewesen zu sein.

Zulassung Ozempic und Mounjaro

Dabei ist Ozempic (Semaglutid) nur zur Behandlung des unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2 bei Erwachsenen als Zusatz zu Diät und körperlicher Aktivität zugelassen. „Jedes andere Anwendungsgebiet, inklusive Gewichtsregulierung, stellt eine off-label Anwendung dar und kann aktuell die Verfügbarkeit für Menschen mit Typ 2 Diabetes gefährden“, erklärt das Bundesinstitut für Medizinprodukte und Arzneimittel (BfArM).

Mounjaro (Tirzepatid) ist seit dem 15.09.2022 zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit unzureichend eingestelltem Diabetes mellitus Typ 2 als Ergänzung zu Diät und Bewegung. Seit dem 11.12.2023 ist der Wirkstoff außerdem zur Gewichtskontrolle bei Adipositas und bei übergewichtigen Erwachsenen mit gewichtsbedingten Begleiterkrankungen und einem BMI ≥ 27 kg/m² zugelassen.

Fragebogen und Rezept

Fünf vom SWR geteste Portale scheint die Indikation nur wenig zu interessieren. Denn der Selbstversuch des Rechereteams zeigt: „Interessierte müssen einen Fragebogen ausfüllen. Neben allgemeinen Angaben etwa zu Geburtsdatum, Größe und Gewicht gibt es Fragen zu Vorerkrankungen sowie Hinweise zu Nebenwirkungen und Gebrauchsbestimmungen der Spritzen. Mit wenigen Klicks lässt sich der Fragebogen ausfüllen und die Spritzen können gekauft werden“, so der SWR.

Im Laufe dieses Prozesses habe man mehrfach falsche Angaben gemacht. „Unter anderem haben sie ein höheres Gewicht vorgetäuscht. Eine direkte Kommunikation mit einem Arzt fand nicht statt, weder per Mail, per Videoschalte oder per Telefonat“, so der SWR. Und dennoch: „Im Ergebnis erhielten die Reporterinnen bei zwei der fünf Portale tatsächlich Rezepte und schließlich Abnehmspritzen per Post: einmal die Spritze Mounjaro des Herstellers Ely Lilly für 387,92 Euro und einmal Ozempic des Herstellers Novo Nordisk für 199 Euro“, berichtete der SWR. Die Rezepte seien in beiden Fällen von Ärzten ausgestellt worden, die im Ausland ansässig sind.

Experten warnen

In einem nachfolgenden Interview des SWR zum Thema reagierten mehrere Expert:innen erstaunt darüber, wie einfach es sei, über solche Portale an Abnehmspritzen. Eine deutliche Kritik: „Ich kann hier nur warnen“, so Ernährungsmediziner Professor Hans Hauner von der Technischen Universität München. „Es ist kinderleicht sich ein Rezept zu besorgen und das ist natürlich bedenklich, weil damit dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist“, sagt er.

Denn nebenwirkungsfrei seien die Abnehmspritzen alle nicht. Das Fragebogen-Prinzip kritisiert er und sieht vor allem finanzielle Motive: „Ich würde tatsächlich unterstellen, dass es hier natürlich um schnelle Kohle geht.“

Weil immer häufiger gefälschte Medikamente, insbesondere Nachahmer von GLP-1-Präparaten im Internet auftauchen, warnt auch Pharma Deutschland eindringlich vor den Risiken und rät: „Der einzig sichere Weg, Arzneimittel zu erwerben, führt über die Apotheke.“

Ansprechpartner? Fehlanzeige!

Auch Verbraucherschützer:innen wenden sich gegen den Onlinehandel. „Man kommt zu leicht an die Spritzen“, kritisiert Gesa Schölgens von den Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen. „Unser Eindruck ist, dass viele dieser Anbieter nicht wirklich auf Patientinnen mit Adipositas zielen, sondern eher Lifestyle-Kundinnen im Blick haben.“ Dass Ärzte, die die Rezepte ausstellen, in den betreffenden Fällen im Ausland sitzen, sei unseriös. „Man weiß als Patientin nicht, wer am Ende das Rezept ausstellt“, so Schölgens im Interview mit dem SWR. Bei Problemen habe man so gar keinen Ansprechpartner.

Kammer und Hertseller ohne Aussage

Die Bundesärztekammer wollte sich laut dem SWR dazu nicht äußern. Man könne nicht beurteilen, unter welchen Voraussetzungen Ärztinnen und Ärzte im jeweiligen EU-Ausland Medikamente verschreiben dürften“, hieß es. Und weiter: „Das Ausfüllen eines Fragebogens ohne persönlichen Kontakt zwischen Patienten und Ärztin oder Arzt ist nicht ausreichend“, so die Bundesärztekammer gegenüber dem SWR.

Weder die beiden betroffenen Portale, noch die beiden Hersteller der Abnehmspritzen wollten sich laut SWR zu den Vorfällen äußern. Es hieß, dass man sich ausdrücklich gegen den Einsatz aus kosmetischen Gründen ausspreche.

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