„Die Apotheke hilft“/ Ausgabe Juli

Krankenhausversorgung gefährdet

Essen -

„Die Apotheke hilft“, das neue Medium von Apotheken für Patienten, erscheint im Juli erneut mit einer Auflage von einer Million Exemplaren. Patienten erhalten in der kostenlosen Zeitung interessante Informationen zu verschiedenen Gesundheitsthemen.
Der Titel beschäftigt sich mit den Folgen der Sparpolitik auf deutsche Krankenhäuser, denen pauschal Unwirtschaftlichkeit vorgeworfen wird. Die Probleme auf dem Krankenhausmarkt sind jedoch auf die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre zurückzuführen. Für Patienten, die sich eine angemessene Behandlung wünschen, brechen unsichere Zeiten an:


KRANKENHÄUSER AUF DER INTENSIVSTATION
tka. Das neue Werk des umstrittenen Filmemachers Michael Moore, der bereits mit „Bowling for Columbine“ und „Fahrenheit 9/11“ Aufsehen erregte, lenkt die Blicke auf das US-amerikanische Gesundheitswesen. „Sicko“ lautet der Titel der Kino-Dokumentation, die bereits nach der Vorpremiere kontroverse Diskussionen ins Rollen brachte.
Dass in den Vereinigten Staaten nicht alles glatt läuft, musste Michael Moore der Welt nicht erst in seinem Film verkünden. 50 Millionen US-Bürger sind nicht krankenversichert, und auch andere Mängel sind bekannt. „Aspirin“ ist in regelrechten Vorratspackungen im Supermarkt erhältlich, und die Zwei-Klassen-Gesellschaft ist - vor allem im Rahmen der Gesundheitsversorgung - allgegenwärtig.

Viele Deutsche werden den Kinobesuch etwas entspannter genießen als die Amerikaner. Denn im deutschen Gesundheitswesen herrschen vermeintlich andere Zustände. Überlebenswichtige Behandlungen, wie z. B. Chemotherapien, die nicht mehr bezahlt werden? Unvorstellbar. Doch die Zuversicht, dass jeder Bundesbürger Anrecht hat auf die erfolgversprechendste Therapie im Rahmen des medizinisch Möglichen, bröckelt zusehends. Die Politik geht auf Sparkurs und beruft sich dabei auf die steigenden Ausgaben durch den demografischen Wandel. Die Gesellschaft wird älter und kränker. Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld? Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich schon in einem kritischen Zustand und begibt sich in Richtung Intensivstation. Krankenhäuser, die einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Versorgung leisten, werden geschlossen. Sie arbeiten nicht wirtschaftlich genug, wird ihnen vorgeworfen, nachdem über Jahre Mittel gestrichen wurden und sich sowohl Ärzte als auch Pflegepersonal mit kontinuierlichem Personalnotstand abfinden müssen. Das hat Folgen: Ärzte gehen ins Ausland, das Interesse an Pflegeberufen sinkt. Die Frage, wer letztlich die älter und damit kränker gewordene Gesellschaft versorgen soll, bleibt offen.
Schon vor Jahren machten Experten darauf aufmerksam, dass das deutsche Gesundheitswesen nicht zu viel Geld verschwendet. Vielmehr wird ihm vonseiten der Politik die Möglichkeit genommen, ausreichend einzunehmen. Mit versicherungsfremden Leistungen lässt der Staat die gesetzliche Krankenversicherung fortwährend zur Ader. Um den finanziellen Engpass auszugleichen, müssen Krankenhäuser nach sogenannten Fallpauschalen abrechnen. Diese legen fest, was die Behandlung in einem Krankenhaus - z. B. die Entfernung der Gallenblase - kosten darf. Da die Kliniken Leistungen, die über die Fallpauschale hinausgehen, selbst finanzieren müssen, verkürzen sich die Liegezeiten der Patienten. Auf den ersten Blick ein positiver Effekt, jedoch mit einigen Nebenwirkungen. Selbst wenn die Operationsmethode die gleiche ist, können die Kosten für die Behandlung stark variieren. Öffentliche Kliniken, die von Medien und Politik fortwährend als unwirtschaftlich eingestuft werden, haben das Nachsehen. Sind sie älteren Baujahrs, berücksichtigt die Architektur oft keine kurzen Wege. Ein Pfleger in einer modernen Klinik legt in acht Stunden Dienst unter Umständen wesentlich weniger Kilometer zurück als eine Pflegekraft in einem älteren Krankenhaus. Hier muss folglich mehr Personal arbeiten, um die gleiche Arbeit zu schaffen. Die Kosten für den Krankenhausbetreiber sind dadurch höher. Auch dieser Zusammenhang ist kein Zufall: Denn das bisherige Finanzierungsmodell sah vor, dass für den Bau einer Klinik das Land zuständig ist, während die Krankenkassen nur für die Betriebskosten aufkamen. So wurde im Bau eher auf günstige Lösungen gesetzt, statt mehr - z. B. für ein zeitsparendes Arbeitsumfeld - zu investieren und so langfristig die Betriebskosten zu senken.
Durch den chronischen Geldmangel stehen zahlreiche Kliniken vor dem Aus. Hinzu kommt, dass Patienten sich nicht ausreichend versorgt fühlen und verschiedene Faktoren wie Versorgungsintensität und Hygiene in Frage gestellt werden. Eifrig ins Leben gerufene Qualitätszirkel sollen sich der Probleme annehmen. Außer Acht gelassen wird jedoch, dass es aufgrund der Personalsituation niemanden gibt, der neu geschaffene Regeln zu einer Qualitätsverbesserung umsetzen kann.
Die finanzielle Unterversorgung betrifft nicht nur Kliniken. Auch Apotheken, Arztpraxen und krankengymnastische Einrichtungen erleben die aktuelle Gesundheitsreform und ihre Vorgängerinnen am eigenen Leib. Statt sich zu besinnen, was die Fülle an Fehlentscheidungen für den Wachstumsmarkt Gesundheitswesen und vor allem die Patienten bedeutet, steuert die Politik das Schiff in Richtung Eisberg.

Fraglich, ob deutsche Kinogänger Michael Moores Ausführungen dann immer noch entspannt lauschen.


ENGLISCH ENTLASSEN?
Ein Kommentar von Tanja Kahlert

Personalmangel ist in deutschen Krankenhäusern an der Tagesordnung und Hilfe wird immer benötigt. Vielleicht haben Gesundheitsministerin Schmidt und ihr Beraterkränzchen Interesse, ein Praktikum in einer ganz normalen deutschen Durchschnittsklinik zu absolvieren. Nur eine Woche! Und den Fachbereich dürfen sie sich gern aussuchen! Nur eine Woche Wechselschicht, im Spätdienst 40 Betten mit teilweise schwerstkranken Patienten nur zu zweit versorgen, den Überblick behalten und auf den freien Tag verzichten, weil jemand krank geworden ist. Und neben waschen, putzen, Essen austeilen, Pflegeberichte schreiben, Infusionen vorbereiten, Patienten überwachen und Betten machen neue Strategien entwickeln, durch die man mit noch weniger Personal noch mehr Qualität aus dem Hut zaubern kann.
Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen sind Menschen. Geraten Kliniken in finanzielle Nöte, wird an der größten und wichtigsten Investition gespart: den Mitarbeitern. Nicht-Mediziner entwickeln dabei bedrohliche Ideen: Bei Operationen soll sich z. B. nicht mehr ein Anästhesist pro Patient um die Narkose kümmern. Vielleicht möchte Frau Schmidt während ihres Praktikums direkt einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt, einer von fünf Patienten zu sein, die während einer OP von einer Pflegeperson mit Zusatzausbildung versorgt werden, während der zuständige Narkosearzt von Patient zu Patient „pendelt“.
Und um Kosten zu sparen, muss die behandelnde Klinik die Gesundheitsministerin nach überstandenem Eingriff so schnell wie möglich entlassen. Sarkastisch spricht man in Fachkreisen von „englisch“ (weil noch blutig) entlassen. Fraglich, ob Frau Schmidt dann immer noch davon überzeugt ist, dass die Gesundheitsreform für „mehr Qualität und mehr Effizienz im Gesundheitswesen“ steht.

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