Abrechnungsbetrug

Organisierte Kriminalität an MVZ?

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Nach einer Großrazzia hat sich der Betrugsskandal an den Berliner DRK-Kliniken ausgeweitet. Möglicherweise sind alle Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) betroffen. Durch systematischen Abrechnungsbetrug soll ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entstanden sein. „So einen Fall hat es in Berlin noch nicht gegeben“, sagte Karsten Fischer vom Landeskriminalamt. Mittlerweile gebe es 62 Beschuldigte, davon etwa fünf auf Führungsebene.

350 Polizisten hatten gestern rund 150 Privatadressen und medizinische Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) durchsucht. Dazu gehörten neben ambulanten Versorgungszentren von DRK-Kliniken auch Wohnungen von Geschäftsführern und Ärzten, zwölf davon in anderen Bundesländern. Der Verdacht lautet auf banden- und gewerbsmäßigen Betrug im Gesundheitswesen. Im Juni hatte es bereits eine ähnliche Razzia gegeben.

Die Vorwürfe hätten sich verstärkt und deutlich erweitert, sagte Oberstaatsanwalt Frank Thiel. Im Sommer waren zwei Geschäftsführer der DRK-Gesellschaft und ein Chefarzt der Radiologie im Krankenhaus Mitte festgenommen worden.

Jetzt besteht nach Angaben der Fahnder der Verdacht, dass es sich um ein seit 2005 organisiertes System handelt. Im Visier sind jetzt alle Fachbereiche der medizinischen Versorgungszentren des DRK in Berlin, in denen ambulante Behandlungen angeboten werden. Auch die Schwesternschaft, der Betreiber, steht laut Thiel unter „Teilverdacht“, von den Machenschaften gewusst zu haben. Neue Festnahmen oder Hinweise, dass Patienten körperlich zu Schaden kamen, gab es bislang nicht.


Der Abrechnungsbetrug soll in zwei verschiedenen Varianten durchgeführt worden sein: Niedergelassene Ärzte verkauften ihre Zulassungen an die DRK-Zentren und waren dann dort nur auf dem Papier beschäftigt. Bei der Razzia suchten die Fahnder gezielt nach entsprechenden Verträgen als Beleg für Scheinanstellungen. „Das war für die Ermittlungsbehörden eine dankbare Situation“, sagte Thiel.

Die zweite Betrugsvariante bestand darin, dass Assistenzärzte Behandlungen vornahmen, für die sie nicht qualifiziert waren und die verkehrt abgerechnet wurden. Das ist ein Vorwurf, der bereits seit Juni im Raum steht. Damals hatten junge Ärzte die Ermittler eingeschaltet. „Anders als im Sommer haben wir bis jetzt keine Hinweise, dass Druck auf junge Assistenzärzte ausgeübt worden ist“, sagte Thiel. Damals sollen kritische Mediziner mit Peilsendern unter dem Auto von einer Detektei im Auftrag der Klinik ausspioniert worden sein.

Bei den Beschuldigten handelt es sich um Mitarbeiter des DRK und die beteiligten Ärzte. Der Schaden ging zulasten der Kassenärztlichen Vereinigung. Durchsucht wurden unter anderem die Büroräume der DRK-Kliniken in Mitte, Westend und Köpenick, der Versorgungszentren, die Firmensitze, der Sitz des Vorstandes des DRK in Berlin sowie 86 Wohnungen.

Der Verband der DRK-Schwesternschaften zeigte sich „entsetzt und überrascht“ über die neuerliche Razzia. „Wir möchten, dass die Vorwürfe schnell abschließend geklärt werden, damit das Deutsche Rote Kreuz sich wieder den medizinischen Aufgaben und dem humanitären Auftrag widmen kann“, hieß es in einer Erklärung. Die Kliniken selbst wollten sich zunächst nicht zur Razzia äußern.

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