Niederlande

Sonntags in den Mikrobenzoo

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Amsterdam -

Mikroben können die Probleme der Erde lösen, sagt Haig Balian. Seit 2003 ist er Direktor des Amsterdamer Artis, dem nach eigenen Angaben ältesten Zoo der Welt, der 1838 seine Türen öffnete. Mikroorganismen, rund zwei Drittel aller lebenden Arten auf der Welt, machen ein Leben erst möglich. In „Micropia“, dem weltweit ersten „Mikrobenzoo“, werden sie jetzt auch für Laien sichtbar gemacht. In dieser Woche eröffnete die niederländische Königin Máxima den neuen Teil des Zoos.

Die Mikrobiologie sei zentral, um Probleme wie Umweltverschmutzung, Hunger und Krankheiten zu lösen, sagt Balian. Die Bakterien könnten zum Beispiel Plastik „essen“, bei der Abwasserreinigung und der Entwicklung von Medikamenten helfen oder bei der Gewinnung von Biogras aus Exkrementen.

Allerdings herrsche eine Kluft zwischen der Wissenschaft und dem Wissen in der Bevölkerung. Aus Unkenntnis heraus hätten viele Menschen Vorurteile gegenüber der Mikronatur und assoziierten diese vor allem mit Krankheitserregern. „Was man nicht kennt, macht Angst“, sagt Balian. Dabei lebten auf einem einzigen Quadratzentimeter Haut hunderttausend Bakterien, allein im Darmtrakt gar hunderttausend Milliarden. Ohne sie wäre eine gesunde Verdauung nicht denkbar.

Balian will den Lebewesen nun den gebührenden Respekt zollen und die „Zusammenhänge der Natur in ihrer Gesamtheit“ sichtbar machen, statt, wie im Zoo üblich, nur kleine Ausschnitte darzustellen. „Wir zeigen, wie Mikroben leben, wie sie sich ernähren und sich fortpflanzen“, so Balian. Neben einem Planetarium, einem Aquarium, einem Schmetterlingspavillon und einem Insectarium hat Artis deshalb nun den Kleinsttierzoo.

Für Micropia wurde das alte Reichsmonument de Ledenlokalen am Artisplein, Baujahr 1870, umgebaut. Das Gebäude, das direkt neben dem Zoo steht, wurde um eine Black Box aus nahtlosem, schwarzem Aluminium erweitert. Dort liegt der obere Teil von Micropia. Der untere Teil befindet sich im hellen Erdgeschoss. Eine Wand aus LCD-Bildschirmen verbindet beide Teile miteinander und zeigt Mikroorganismen maßstabsgetreu in ihrem Verhältnis zueinander.

In dem großen offenen Raum bewegt sich der Besucher über zwei Etagen. Ein Aufzug fährt nach oben, schon hier lässt sich das eigene Auge „scannen“. Angezeigt werden typische Mikroorganismen, die sich üblicherweise auf der Wimper tummeln. Oben führt ein Weg an der Wand entlang einmal um den Komplex, mit freier Sicht auf den gesamten Raum.

Manche Erreger sieht man nur als Modell, wie etwa den Aids-Erreger HIV, andere werden im Foto oder Film abgebildet. Bei der interaktiven Installation Bodyscan lässt sich der gesamte Körper „scannen“, der Besucher kann so entdecken, welche Mikroorganismen auf der Haut leben. Videos zeigen, was genau passiert, wenn jemand angehustet wird, oder wie Antibiotika auf den Organismus wirken.

Aufsehen erregt der „Kiss-o-Meter“: Am Boden leuchtet ein rotes Herz aus Plexiglas, darauf können sich Pärchen küssen, bis die Million geknackt ist. Der Videoschirm im Hintergrund zeigt dann: „Sie haben soeben eine Million Mikroben ausgetauscht.“

Auch durch virtuelle 3D-Landschaften besonderer Art können sich Besucher bewegen. Diese zeigen sogenannte Extremophiles, Mikroben, die unter lebensfeindlichen Umständen wie Radioaktivität existieren können, in ihren jeweiligen Lebensräumen, wie etwa dem Reaktor von Tschernobyl.

Auch lebendige Organismen zeigt die Ausstellung. So werden an einer Wand mit Petrischalen verschiedene Mikroben ausgestellt. Hinter jeder Schale erfährt man, wo die jeweilige Mikrobe lebt, etwa auf einer Putzbürste oder einem Badeschlappen.

Unter speziellen 3D-Mikroskopen können auch Schimmel, verschiedene Erreger, Algen oder andere Einzeller beobachtet werden. Die Geräte wurden extra für Micropia entwickelt: Ein 3D-Fernglas wurde an die Linsen eines Mikroskops gekoppelt und liefert so ein scharfes Bild in tausendfacher Vergrößerung. Die Geräte werden mit Joysticks bedient, die Vergrößerungen sowohl konventionell durch das Mikroskop gezeigt als auch auf einem größeren Bildschirm neben dem Gerät. Ab einem Alter von acht Jahren könnten Kinder verstehen, was sie dort sehen, sagt eine Micropia-Sprecherin.

Rund zwölf Jahre hat es gedauert, bis Balian seine Idee realisieren konnte. Beteiligt waren Wissenschaftler aus den meisten niederländischen Universitäten und Forschungsinstituten sowie aus einer Reihe von Unternehmen. Mit dem Museum will Balian Begeisterung wecken. Micropia soll zu einer internationalen Plattform für Mikrobiologie werden.

Das Museum soll die Wissenschaft mit ihren Interessengruppen verbinden, heißt es von Micropia – mit Schülern, Studenten, Politikern, Journalisten, Vertretern der Wirtschaft und Investoren. Ein bei Artis angestellter Professor soll in den Räumen Vorlesungen für Studenten halten. Außerdem sind Konferenzen und Seminare geplant.

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