Interview Kehr Berlin

„Wir wollen Erstanbieter werden“

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Berlin -

Berlin hat wieder einen privaten Pharmagroßhändler. Richard Kehr (Braunschweig) und Kehr Holdermann (Dessau) haben aus der Insolvenzmasse von Gesine deren Standort in Ludwigsfelde gekauft. Ab Juni sollen die ersten Touren fahren. Schon heute beliefern die Schwesterunternehmen etwa 200 Apotheken in der Hauptstadt. APOTHEKE ADHOC sprach mit den geschäftsführenden Gesellschaftern Ulrich Kehr und Stefan Holdermann über die Pleite von Gesine und was einen funktionierenden Großhandel ausmacht.

ADHOC: Der Gesine Großhandel ist Geschichte, woran ist der Betrieb gescheitert?
KEHR: Der Großhandel von Gesine hat nicht funktioniert. Das Management hatte ein falsches Verständnis von Pharmagroßhandel.
HOLDERMANN: Die Probleme lagen in der nicht vorhandenen Kapitalausstattung in Kombination mit dem fehlenden Know-How. Die für dieses Geschäft notwendige Kompetenz kann man nicht so schnell aufbauen und sich auch nicht von außen holen. Pharmagroßhandel ist mehr als Pillen verschicken und Rabatte gewähren.

ADHOC: Wie viele Neukunden wollen Sie in der Hauptstadt im ersten Jahr gewinnen?
KEHR: Zunächst geht es darum, die bestehenden Kundenverhältnisse auszubauen. Von Braunschweig und Dessau aus konnten wir in Berlin bei den meisten Apotheken nur Zweitlieferant sein. Das wollen wir ändern und zum Erstanbieter werden.
HOLDERMANN: Vom neuen Standort aus werden wir drei Touren am Tag und eine in der Nacht als Grundleistung anbieten. Auch am Samstag werden wir liefern, was von Gesine zuvor nicht angeboten wurde. Apotheken in Großstädten haben etwa wegen der längeren Öffnungszeiten eigene Anforderungen. Hier werden wir unsere Leistungen weiter aufwerten. Wir werden ein Vollsortiment von mindestens 80.000 Artikeln anbieten. Zudem muss die Lieferfähigkeit von Anfang an gegeben sein.

ADHOC: Müssen Sie das tun, um mitzuhalten?
KEHR: Nach so einer Neugründung ist der Markt hart umkämpft. Wir müssen davon ausgehen, dass in Berlin ein heftiger Wettbewerb herrscht. Viele Apotheken wissen jedoch unsere Unabhängigkeit von Großkonzernen zu schätzen.

ADHOC: Kehr hat sich auch die Marke gesichert, wird Gesine doch weiterleben?
KEHR: Es ist keine Betriebsübernahme, sondern wir gründen den neuen Standort Kehr Berlin. Dass wir die Marke übernommen haben, hat juristische Gründe.
HOLDERMANN: Wir haben dadurch keinen Vorteil, sondern wollen Nachteile verhindern. Die Apotheken, die Gesine als Marke nutzen, können das weiter tun und müssen keinen Rechtsstreit befürchten. Pharma Privat hat mit E-Plus und A-Plus gute Kooperationen. Wir brauchen keine anderen.

ADHOC: Wann geht es los?
KEHR: Geplant ist der 1. Juni. Ich hoffe, dass wir den Termin halten können. Wir werden in Mitarbeiter und die EDV investieren und unsere Anlagen dort komplett einsetzen. Die Ware, die noch vorhanden ist, werden wir verantwortungsvoll prüfen und aufstocken. Die Gespräche mit Apotheken in Berlin werden ab sofort geführt. Die Konditionen werden von der Marktsituation abhängen.

ADHOC: Werden Sie ehemalige Gesine-Mitarbeiter einstellen?
HOLDERMANN: Momentan werden wir den Pharmagroßhandel in den Schlüsselpositionen mit eigenen, bewährten Mitarbeitern besetzen. Der Betrieb muss erst einmal anlaufen. Geplant sind mehr als 20 Stellen. Die ehemaligen Gesine-Mitarbeiter sind kompetent, wen wir übernehmen, hängt jedoch vom Einzelfall ab.

ADHOC: Wäre Kehr auch ohne die Pleite von Gesine in die Hauptstadt expandiert?
KEHR: Wir denken seit zehn Jahren darüber nach. Doch selbst mit 100 Millionen Euro Umsatz hätten wir es nicht gemacht. Wir gehen mit dem eigenen Geld kein Risiko ein, um die Existenz unserer Betriebe nicht zu gefährden. Es ist sehr teuer, eine neue Niederlassung aufzubauen. Konzerne treffen Entscheidungen über solche Investitionen leichter.

ADHOC: War die Pleite von Gesine also ein Glückstreffer?
HOLDERMANN: Wenn einem eine Förderanlage und ein Warenlager angeboten werden, muss man schnell handeln. Als die Insolvenz aktenkundig war, haben wir alles durchgerechnet und uns sehr schnell entschieden. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

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