Die Freie Apothekerschaft (FA) sieht durch die Einführung des E-Rezepts in der jetzt geplanten Form die Gefahr, dass mittelfristig zwei Drittel der Apotheken in Deutschland schließen müssen. Auch die kürzlich beschlossene Mehrwertsteuersenkung bis Jahresende ist laut Vorstandsmitglied Reinhard Rokitta ein Verlustgeschäft für die Apotheken. Rokitta teilt dabei in einem Rundumschlag nicht nur gegen die Bundesregierung, Krankenkassen und Abda aus, sondern auch gegen nicht näher genannte „Zusammenschlüsse großer inländischer Apotheken-Unternehmen“.
Die FA sieht die Apotheker mal wieder übers Ohr gehauen: Die Covid-19-Pandemie habe den Entscheidern in der Politik gezeigt, „dass man sich auf die deutschen Apotheken vorbehaltlos verlassen kann“, so der Verein. „Aber kaum ist das Schlimmste vorbei, sind die Apotheker wieder Spielball von Politik und Krankenkassen“. Konkret geht es dabei unter anderem um das geplante Rx-Boni-Verbot im VOASG, das Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erst kürzlich gegenüber der EU-Kommission verteidigte – während nicht nur aus Standesvertretungen wie der Apothekerkammer Nordrhein, sondern jüngst immer häufiger auch aus seinen eigenen Reihen Forderungen laut werden, doch zu einem Rx-Versandverbot zurückkehren.
Nicht nur Spahn, sondern „unverständlicherweise in dessen Fahrwasser auch die apothekereigene sogenannte Berufs- und Interessenvertretung Abda“ hielten entgegen dieser Signale an dem Boniverbot fest, ohne dabei hinreichend auf deren Folgen einzugehen. „Die Politik möchte die sogenannte flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch die Apotheken vor Ort gesichert wissen. Sie kann uns aber nicht einmal sagen, ab welcher Apothekenzahl eine flächendeckende Versorgung nicht mehr gesichert ist“, so Rokitta. „Auch die Abda hat hierzu noch keine ernstzunehmende Stellung bezogen, was noch naheliegender wäre. Mittlerweile ist die Zahl der öffentlichen Apotheken unter 19.000 gesunken. “
Und sie werde weiter sinken, wenn die Politik nicht auch beim Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) nachbessert. „Wenn die Umstellung auf das E-Rezept in 2022 vollzogen sein wird, ohne dass die Apotheken per Gesetz vor Makelverboten interessierter Gruppen geschützt werden, dann ist ein Rückgang auf die Hälfte bis ein Drittel der Apotheken innerhalb weniger Jahre überaus wahrscheinlich“, kritisiert Rokitta.
Dabei zählen Rokitta und seine Mitstreiter zu jenen „interessierten Gruppen“ nicht nur ausländische Arzneimittelversender, „die mit dem Kapital von Aktiengesellschaften und Investoren das deutsche Apothekensystem und damit die wohnortnahe Arzneimittelversorgung zerstören wollen“, sondern „mittlerweile auch bestimmte Zusammenschlüsse großer inländischer Apotheken-Unternehmen zur Aushandlung von exklusiven Belieferungsverträgen mit den gesetzlichen Krankenkassen“. Hier vermisse die FA eine deutliche Hinwendung Spahns zum Erhalt der Arzneimittelversorgung durch die Apotheken vor Ort.
Auch die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer, die mit dem 130 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket beschlossen wurde, sieht die FA nicht als Hilfe, im Gegenteil: Sie könne zwar „für das ein oder andere Unternehmen von Nutzen sein, für die Apotheken kann sie Verluste in Millionenhöhe bringen“, so die FA. Das liege an den Lieferverträgen mit den Krankenkassen. „Hier muss sofort eine politische Regelung erfolgen. Die Meinung der Krankenkassen, dass Apotheken an den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu viel verdienen, muss man insgesamt als völlig verfehlt bezeichnen, zumal das Packungshonorar seit 2013 nicht mehr erhöht wurde und seit 16 Jahren von der Inflationsrate vollkommen abgekoppelt ist.“
Deshalb fordere die FA schon seit Längerem die Abschaffung des „nicht mehr gerechtfertigten Rabatts an die gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von knapp 30 Prozent, denn die Belieferung eines Rezepts ist in den letzten Jahren um ein Vielfaches aufwändiger geworden“ – und zwar nicht zuletzt durch „teilweise grenzenlos ausufernde und existenzbedrohende Sonderregelungen“ der Gesetzlichen Krankenversicherung und die damit einhergehenden Dokumentationen, als auch durch die immer weiter ansteigende Anzahl der Lieferengpässe.
„Hier müssen angesichts der dominanten Position der GKV im Gesundheitssystem endlich einmal grundsätzliche Fragen zur Zukunft der Apotheken gestellt werden“, fordert Rokitta. „Das bestehende System mit derzeit noch inhabergeführten Apotheken und Hausarztpraxen als die bewährten Leistungserbringer für die Bevölkerung wird sich sonst schon wegen Nachwuchsmangels aufgrund eines solch demotivierenden Verwaltungssystems nicht halten lassen!“
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