Verfahren wegen Vorteilsnahme

Das Haus der Patientin

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Berlin -

Eine ältere Dame muss nach einem Krankenhausaufenthalt in eine Seniorenresidenz umziehen. Ihr langjähriger Hausarzt nutzt die Gelegenheit und kauft ihr Haus. Darauf hatte aber auch der Nachbar ein Auge geworfen. Nachdem er den Arzt bei der Ärztekammer angezeigt hatte, wurde ein berufsrechtliches Verfahren eröffnet. Die Kernfrage: Wann verschafft sich ein Arzt einen unlauteren Vorteil aus seiner Behandlungstätigkeit.

Der Facharzt für Innere Medizin hatte das Haus von seiner Patientin für 250.000 Euro erworben. Doch der Grundstücksnachbar beschwerte sich bei der Ärztekammer. Der Vertreter der Eigentümerin habe ihm das Haus zuerst für diesen Preis angeboten und er habe angenommen. Angeblich habe sich die ältere Dame bei ihm sogar beschwert, der Arzt wolle sie mit Geboten von etwas über 100.000 Euro „über den Tisch ziehen“.

Doch wenige Tage später berichtete der Vertreter, dass sich der Arzt bei einem Arztbesuch im Pflegeheim einen Vorvertrag habe unterzeichnen lassen. Auch ein um 50.000 Euro erhöhtes Gebot des Nachbarn habe sie in der Folge abgelehnt. Die Begründung: Mit über 90 Jahren sei sie auf ihren Arzt angewiesen sei. Sie müsse an ihn verkaufen, damit er sie weiter ärztlich betreue. Sowohl der Arzt als auch die Hausbesitzerin widersprachen dieser Darstellung des Nachbarn.

Die Ärztekammer leitete dennoch ein Ermittlungsverfahren ein. Gegenüber dem sogenannten Untersuchungsführer bestätigte der Vertreter der Seniorin, dass der Arzt die Eigentümerin nicht unter Druck gesetzt habe. Im Abschlussbericht ist vermerkt, der Arzt habe keinen Vorteil im Sinne der Berufsordnung angenommen. Unzulässig wäre demnach nur eine konkrete Vereinbarung gewesen. Die weitere Behandlung möge hier zwar „ein entscheidendes Motiv der Patientin für den Verkauf“ gewesen sein, tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Arzt die Weiterbehandlung davon abhängig gemacht habe, gebe es aber nicht.

Doch der Vorstand der Ärztekammer folgte dieser Auffassung im Untersuchungsbericht nicht und eröffnete dennoch ein berufsgerichtliches Verfahren. Ein Sprecher der Ärztekammer begründete dies gegenüber APOTHEKE AHDOC damit, man habe in dem Erwerb des Grundstücks von der Patientin einen berufsrechtlich unzulässigen Vorteil gesehen, „weil der Arzt erst durch die Vertrauensstellung zu seiner Patientin die Möglichkeit des Erwerbs erhalten hat und von der Patientin trotz des erheblich höheren Kaufangebots eines Dritten ausgewählt worden war“. Dem Arzt wurde vorgeworfen, den Vorteil fahrlässig angenommen und dadurch seine Berufspflichten verletzt zu haben. Die Kammer beantragte eine Geldbuße.

Der beschuldigte Arzt hielt dagegen, er habe sich in einem offenen Verfahren auf ein Angebot der Hausbesitzerin gemeldet und eingeschlagen. Der Mitbewerber – jener Nachbar, der sich bei der Kammer beschwert hatte – habe sein höheres Angebot erst danach abgegeben.

Das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Berlin sah keinen Verstoß gegen die Berufsordnung der Ärztekammer. Insbesondere die Angaben des Bevollmächtigten der Patientin überzeugten. Demnach habe sich die Patientin entschieden, an den Arzt zu verkaufen, was der Nachbar nicht „jedoch nicht akzeptieren wollte“. Er habe das Angebot auf 260.000 Euro angehoben und dem Bevollmächtigten 40.000 Euro Provision angeboten. Da dieser das Angebot als Bestechung empfand, reagierte er darauf nicht. Später habe der Nachbar der Inhaberin direkt 300.000 Euro angeboten, als diese aber den Vorvertrag mit dem Arzt schon geschlossen hatte. Auch das Gericht erkannte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arzt damit gedroht habe, die Behandlung abzubrechen.

Die Berufsordnung verbietet es Ärzt:innen, im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung von Patient:innen Geschenke oder andere Vorteile zu fordern oder anzunehmen, außer es handelt sich um geringfügige Kleinigkeiten. Kein berufsrechtlich relevanter Vorteil ist laut Gericht erkennbar, wenn der Arzt ein Grundstück von einer Patientin erwirbt und den geforderten Kaufpreis zahlt – der ihm zunächst sogar zu hoch erschien.

Die Ärztekammer hatte noch auf das neue Anti-Korruptionsgesetz im Gesundheitswesen verwiesen. Demnach fallen unter den Tatbestand „sämtliche Vorteile, unabhängig davon, ob es sich um materielle oder immaterielle Zuwendungen handelt und ob es sich um einen Vorteil für den Täter oder einen Dritten handelt“. Über die Berufsordnung hinaus geht dabei nur, dass auch immaterielle Vorteile – beispielsweise Ehrungen und Ehrenämter – einbezogen werden. Grundsätzlich kann ein Vorteil auch im Abschluss eines Vertrages liegen.

Das bloße Annehmen eines Vorteils ohne Gegenleistung ist laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) allerdings nicht maßgeblich. Es geht um die inhaltliche Verknüpfung von Vorteil und Gegenleistung, die „Unrechtsvereinbarung“. Genau die habe der Untersuchungsführer nicht feststellen können. Auch die Ärztekammer behaupte nicht, dass eine solche Vereinbarung getroffen worden sei.

Eine „gemischte Schenkung“ könnte vorliegen, wenn der Arzt viel zu wenig gezahlt hätte. Doch das war hier gemessen am Bodenrichtwert nicht der Fall. Auch die Ärztekammer ließ sich im Verfahren davon überzeugen, dass im Gegenteil der Nachbar bereit gewesen wäre, oberhalb des Marktwertes zu zahlen, weil er das Grundstück unbedingt für seine Mutter kaufen wollte.

Die Ärztekammer hat es mit dem „Schutz der Integrität der Ärzteschaft“ laut Gericht etwas zu genau genommen. Nicht jegliche abstrakte Verbindung von ärzlichem Behandlungsverhältnis und nichtärztlicher Geschäftsbeziehung müsse unterbleiben, heißt es im Urteil.

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