Frankreich

Todesfall in Zulassungsstudie

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Berlin/Rennes -

Nach einem schweren Unfall bei einer klinischen Studie in Frankreich liegt ein Teilnehmer hirntot auf der Intensivstation. Fünf weitere Versuchspersonen seien ebenfalls in das Universitätsklinikum von Rennes gebracht worden, teilte das Gesundheitsministerium in Paris mit. Die Studie wurde umgehend abgebrochen.

Das von einem europäischen Labor entwickelte Medikament befand sich in einer Phase-I-Studie, die in einer zugelassenen privaten Einrichtung durchgeführt wurde. In diesem Stadium werden Wirkstoffe an gesunden Freiwilligen getestet; davor gab es in der Regel erfolgreiche Tierversuche.

Nähere Details zu dem Medikament nannte das Ministerium zunächst nicht. Laut französischen Medien handelt es sich um ein analgetisch wirkendes Medikament, welches offenbar ein Cannabinoid enthielt.

Das Labor habe die Arzneimittelbehörde ANSM über den Stopp des Tests informiert und alle freiwilligen Versuchsteilnehmer zurückgerufen, so das Ministerium. Die ANSM initiierte eine Inspektion des Labors in Rennes, um die Studienbedingungen vor Ort zu prüfen.

Deutsche Experten sprechen von einem „absolut außergewöhnlichen Ereignis“. „Zu diesem Zeitpunkt ist mir kein vergleichbarer Vorfall bekannt“, sagt auch die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine für ihr Land. Den Wirkstoff nannte sie nicht. Er soll auf Stimmungsschwankungen und Angstgefühle sowie auf motorische Störungen bei neurodegenerativen Erkrankungen zielen.

Der Versuch läuft schon seit dem vergangenen Sommer, in den Räumen der Privatfirma Biotrial. Sie ist für solche Tests zugelassen und hat 25 Jahre Erfahrung, wie die Regionalzeitung „Ouest France“ schreibt. Der Chef Jean-Marc Gandon sagte dem Blatt einmal, der Großteil der Probanden nehme nicht aus finanziellen Gründen teil – jedenfalls sagten sie das. „Sie stellen eher ihren Wunsch nach vorne, die medizinische Forschung voranzubringen, und das hängt manchmal mit einer Krankheit in ihrem Umfeld zusammen.“

Die Medikamentenbehörde ANSM hat wie vorgeschrieben ihr Okay für die Tests gegeben. Etwa 90 Menschen haben den Wirkstoff des portugiesischen Herstellers Bial genommen. Anfangs wurde der Wirkstoff nur einmal verabreicht, später sollte das Mittel mehrfach genommen werden – so war es der Fall bei den sechs Männern.

Das Drama beginnt am vergangenen Sonntag, ihrem vierten Testtag: Ein Teilnehmer hat erste Beschwerden, sein Zustand verändert sich sehr schnell. „So, dass wir dachten, das wäre ein Schlaganfall“, sagt Professor Dr. Gilles Edan vom Uniklinikum Rennes. Inzwischen ist der Patient den Ärzten zufolge hirntot.

Am Tag darauf bricht die Test-Firma Biotrial den Versuch ab, informiert die Behörden. Die übrigen Männer kommen – ein er nach dem anderen – mit neurologischen Beschwerden ins Krankenhaus. Bei drei von ihnen sei die Situation so schlimm, dass eine „unumkehrbare Behinderung“ zu befürchten sei, sagt Edan – und präzisiert sich kurz darauf erschrocken selbst, als er die Reaktion der Journalisten auf diese Information realisiert und die Ministerin nochmals daran erinnert, dass wohl auch die Männer selbst Fernsehen gucken. Es gebe die Hoffnung, dass sich ihre Symptome verbessern, betont Edan – aber auch die Furcht, dass sie sich verschlechtern. „Ihre Not hat mich erschüttert“, sagt Touraine.

Die Bestürzung ist groß in Frankreich, und viele Fragen stehen im Raum. Biotrial wie Bial betonen: Alle Vorschriften wurden eingehalten. Bial führt zudem an, dass vorher noch keine Versuchsperson Beschwerden gehabt habe. Auch Ministerin Touraine hat noch keine Antwort darauf, wie es zu dem „schweren Unfall“ kam.

Der Fall dürfte Behörden und Hersteller noch intensiv beschäftigen. Als sechs Männer in Großbritannien 2006 nach einem Medikamententest tagelang in Lebensgefahr schwebten, wurden anschließend die Regeln nochmals sehr verschärft, wie Dr. Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) erzählt. Das Würzburger Unternehmen, von dem der Wirkstoff stammte, musste wenige Monate später Insolvenz anmelden.

 

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