Asylpolitik

Arzneimittel für Flüchtlinge

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Berlin -

Mit 250.000 Asylbewerbern rechnet das Bundesamt für Migration (BFM) in diesem Jahr. Ihnen allen steht bei akuten Erkrankungen und Schmerzen „die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln“ zu, heißt es im Asylbewerberleistungsgesetz. Die Umsetzung dieser Vorgabe steht und fällt in der Praxis aber oft mit engagierten Leistungserbringern, die Zusatzaufwand nicht scheuen. Darunter sind auch Apotheker, die die Arzneimittelversorgung der Flüchtlinge sicherstellen.

In Hamburg kümmert sich die „Medikamentenhilfe für Menschen in Not“ um Arzneimittel für Hilfsbedürftige. Geleitet wird der 1996 gegründete Verein von Sonne Leddin, einer Tanzpädagogin aus Aumühle bei Hamburg. Die fachliche Leitung haben drei Ärzte und der Leiter der Klinikapotheke St. Adolfstift, Mario Hartig, übernommen.

Die Medikamentenhilfe sammelt Arzneimittel aus gesicherter Lagerung – also aus Apotheken, Arztpraxen oder von Pharmafirmen. Anschließend werden die Medikamente nach sieben festgelegten Kriterien geprüft. Beispielsweise müssen die Arzneimittel noch mindestens ein Jahr lang haltbar sein. Bei Arztmustern dürfen maximal zwei Tabletten im Blister fehlen, der wird dann beschnitten und die Packung mit der korrekten Anzahl neu beschriftet.

Medikamente, die es durch diese Prüfung geschafft haben, werden von Ärzten und Apothekern in 20 verschiedene Fachgebiete sortiert, etwa Analgetika, Magen-Darm oder Diabetes. Danach werden die Medikamente in der Landessprache beschriftet – denn ein großer Teil wird nach Bosnien-Herzegowina, Afghanistan, Eritrea, Litauen, Russland, Tibet, Argentinien oder auf die Philippinen geschickt. Insgesamt wurden in den vergangenen Jahren mehr als 1900 Kartons mit Arzneien und Klinikmaterial verschickt, das entspricht laut Verein 30 Tonnen Arzneimitteln und Hilfsgütern im Wert von 4,2 Millionen Euro.

Neben ausländischen Kliniken werden aber auch sieben soziale Hamburger Projekte unterstützt: die „Krankenstube für Obdachlose“ der Caritas, die diakonische Einrichtung „Alimaus“, die „Malteser Migranten Medizin“ und neue Praxen für Bedürftige ohne Krankenversicherung.

Die Verteilung ist komplizierter und geht über einzelne Apotheken. Diese erhalten die notwendigen Arzneimittel als Spende von der Medikamentenhilfe und spenden sie wiederum an die bedürftige Einrichtung. Auf diese Weise erfolge die Abgabe durch die Apotheke, die die Arzneimittel zuvor natürlich auch noch einmal kontrolliere, erklärt Vereinsvorsitzende Leddin. Die beteiligten Apotheken haben sich ebenso wie die Ärzte dazu verpflichtet, keines der Arzneimittel zu verkaufen. Insgesamt sind laut Leddin 90 Praxen und Apotheken an dem System beteiligt.

Apotheken, die Arzneimittel spenden wollen, sollten unbedingt vorher anrufen, erklärt die Vereinsvorsitzende. Sie erfahren dann nicht nur, welche Kriterien für die Arzneimittel gelten müssen – es werden beispielsweise nur deutsche Medikamente akzeptiert, also keine Reimporte –, sondern auch, was aktuell gebraucht wird. Hauptsächlich sind das laut Leddin Analgetika, Antibiotika, Herz- und Diabetesmedikamente sowie Mittel gegen Bronchialerkrankungen.

Die Medikamentenhilfe agiert in einem rechtlichen Graubereich und kann nur arbeiten, weil die Behörden in Hamburg den Verein und seine Arbeit dulden. Im benachbarten Schleswig-Holstein sei die Aufsicht strenger und poche auf die Gesetze, so Leddin. Praxen dort dürften also nicht beliefert werden. In Hamburg ist der Verein hingegen hochgeschätzt. 2013 wurde Leddin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, im vergangenen Jahr erhielt sie den Bürgerpreis der Stadt Hamburg-Bergedorf.

Der Verein hilft auch, wenn ein Patient dringend ein Medikament braucht, das noch nicht gespendet wurde: „Dann kaufen wir das Arzneimittel, spenden es an die Apotheke, und die gibt es dem Arzt“, erklärt Leddin.

Etwas unkomplizierter geht das in München. Dort hat der Kinderarzt Dr. Mathias Wendeborn im vergangenen Jahr den Verein Refudocs gegründet. Er hat ein Konzept für die Flüchtlingsversorgung erarbeitet – und Stadt und Land davon überzeugt. Seit 2014 gibt es eine Extra-Kostenstelle der öffentlichen Hand für die Versorgung von Flüchtlingen. Die Kosten trägt zunächst die Stadt München, sie kann sich aber 80 Prozent vom Land zurückholen.

Das Land hat den Aufbau von Praxisräumen auf dem Gelände der Bayern-Kaserne in München finanziert, die derzeit als Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge fungiert. In den als Praxisräume eingerichteten Containern ist jeden Tag ein Allgemeinmediziner oder Internist anzutreffen, an drei bis vier Tagen die Woche ein Kinderarzt, an zwei Tagen eine Gynäkologin und einmal wöchentlich ein Psychiater.

Das Pensum werde insgesamt von rund 70 Medizinern gestemmt, die einzelne Stunden bei den Refudocs arbeiteten, erklärt Wendeborn. Für jede geleistete Arztstunde erhält der Verein eine Vergütung von der Stadt. Damit werden die laufenden Kosten gedeckt, was übrig bleibt geht als Aufwandsentschädigung an die Ärzte.

Je 100 Asylbewerber rechnet Wendeborn mit drei Arztstunden für den Allgemeinmediziner. Wie oft Kinderärzte oder Gynäkologen Dienst haben, entscheidet sich mit der jeweiligen Zusammensetzung der Flüchtlinge. Derzeit seien rund 800 bis 900 Flüchtlinge in der Bayernkaserne untergebracht, schätzt er.

Bei den Refudocs arbeiten laut Wendeborn junge Ärzte in ihrer Freizeit oder emeritierte Mediziner. „Damit wird ein Zusatzangebot für zusätzliche Bedürfnisse geschaffen“, so Wendeborn. Die Arbeit trete also nicht in Konkurrenz zum fachärztlichen Angebot, betont der Kinderarzt mit Blick auf Kritiker, die monieren, selbst lange auf einen Termin warten zu müssen, während Flüchtlinge versorgt würden. „Außerdem erhalten die Asylbewerber die Versorgung, die ihnen zusteht“, so Wendeborn. Für ihn gehört es zur Willkommenskultur, dass man den Flüchtlingen erst einmal auf die Beine hilft, bevor es weiter geht.

Wenn Wendeborns Patienten ein Medikament brauchen, stellt er ihnen ein Privatrezept auf einem blauen oder grünen Rezeptformular aus, das leserlich beschrieben und mit den Kontaktdaten des Arztes sowie dem Stempel der Refudocs versehen wird. Als Kostenstelle wird das Sozialreferat der Stadt München eingetragen. Mit dem Rezept können die Patienten in eine Apotheke ihrer Wahl gehen.

Besonders oft kommen die Flüchtlinge in die nahegelegene Heide-Markt-Apotheke oder die Efeu-Apotheke. Inhaber Bernhard Bauer ist mit den Abläufen vertraut. Nach einigen Startschwierigkeiten wegen eines fehlenden Ansprechpartners läuft das Verfahren aus seiner Sicht gut. Die Rezepte werden in der Apotheke gesammelt und am Ende des Monats nicht über das Rechenzentrum, sondern direkt mit dem Sozialamt abgerechnet. Das funktioniert laut Bauer gut.

Gibt es Projekte wie in Hamburg oder München nicht – oder wenden sich Flüchtlinge an andere Stellen – ist der Weg zur Versorgung deutlich mühsamer und geht über die Sozialämter. Asylbewerber müssen vor Ort registriert werden und erhalten bei Bedarf einen Krankenschein vom Sozialamt. Damit können sie zum Allgemeinarzt gehen, der ihnen bei Bedarf auf einem Muster-16-Rezept ein Arzneimittel verschreibt. Auch in diesem Fall ist die Kostenstelle das Sozialamt, über das die Flüchtlinge versichert sind.

Wenn die Asylbewerber an einen Facharzt überwiesen werden müssen, brauchen sie dafür erneut einen Krankenschein vom Sozialamt. Auch wenn sie Hilfs- oder Arzneimittel benötigen, die nicht absolut lebensnotwendig sind, müssen sie sich an das Sozialamt wenden. Der Amtsarzt überprüft dann zunächst, ob beispielsweise Krücken wirklich nötig sind und genehmigt sie in diesem Fall.

Bis die Asylbewerber einen Krankenschein erhalten, kann es allerdings sehr lange dauern. Wenn es schnell gehen soll, sind sie daher auf ehrenamtliche Angebote wie die Medikamentenhilfe oder die Refudocs angewiesen.

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