Mit nur einem Satz hat das Bundesarbeitsgericht alle Arbeitgeber verpflichtet, eine Zeiterfassung in ihrem Unternehmen einzuführen. Was das für Apotheken bedeutet, erklären die Rechtsanwälte Daniel Roth und Fabian Virkus von der Treuhand Hannover.
Eigentlich ging es in dem Streit vor dem Bundesarbeitsgericht um die Frage, ob ein Betriebsrat ein Initiativrecht für bestimmte betriebliche Maßnahmen wie die elektronische Arbeitszeiterfassung hat. Doch diese juristische Feinheit war plötzlich nur noch Nebensache, denn ein einziger Satz in der Pressemitteilung zum Fall sorgte in der vergangenen Woche für Schlagzeilen: Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzsgesetz (ArbSchG) sei jeder Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.
Laut der genannten Vorschrift sind Arbeitgeber verpflichtet, „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“, um „die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit“ zu gewährleisten. Den Richtern in Erfurt zufolge sind damit auch die Arbeitszeiten gemeint, zumal laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die europäischen Arbeitszeitregelungen den Arbeitgeber dazu verpflichten, die Arbeitszeit vollständig aufzuzeichnen.
„Es kann jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend abgesehen werden, ob Verpflichtung der Arbeitgeber dahingehend zu verstehen ist, die Arbeitszeit aufzuzeichnen oder ob sie lediglich verpflichtet sind, den Arbeitnehmern ein System zur Aufzeichnung zur Verfügung stellen“, so Roth und Virkus in einer Stellungnahme gegenüber APOTHEKE ADHOC. „Auch wenn der Gesetzgeber bislang noch nicht gehandelt hat und dies wahrscheinlich absehbar auch nicht tun wird, sind Arbeitgeber im Hinblick auf das nun vorliegende Urteil gut beraten, wenn sie zukünftig ein System zur Aufzeichnung der tatsächlichen Arbeitszeiten einführen.“
Für die Apotheken bedeutet dies den beiden Anwälten zufolge zunächst, dass Anfang und Ende der Arbeitszeiten nun vollständig erfasst werden müssen. „Bislang beziehungsweise nach den noch geltenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes galt eine solche Verpflichtung nur für Überstunden beziehungsweise für die über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit.“ Das Modell der sogenannten „Vertrauensarbeitszeit“, also das Arbeiten ohne Kontrolle der Anwesenheitszeiten durch den Arbeitgeber, sei nach der neuen Rechtsprechung wohl passé, so ihre Einschätzung.
„Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts – soweit bislang bekannt – ist im Übrigen nicht zu entnehmen, auf welche konkrete Art und Weise Arbeitgeber diese Aufzeichnungen zu führen haben. Arbeitgeber könnten dies nach unserer Einschätzung grundsätzlich selbst machen oder den Arbeitnehmern überlassen – aus der bisherigen Vertrauensarbeitszeit wird dann die Vertrauensarbeitszeiterfassung, bei der Arbeitgeber die selbst erstellte Arbeitszeiterfassung ihrer Mitarbeiter zur Erfüllung ihrer Pflichten nutzen.“
Die Verantwortung zur Einhaltung gesetzlicher und gegebenenfalls tariflicher Arbeitszeitregelungen verbleibe jedoch auch in diesem Fall bei den Arbeitgebern. „Wo dies möglich ist, sollten nun Anfang, Ende der Arbeitszeit sowie der Pausen erfasst werden. Dies können Arbeitgeber elektronisch oder analog betreiben. Es besteht jedoch grundsätzlich keine Pflicht der Arbeitgeber, sich die Arbeitszeiterfassung durch die Arbeitnehmer abzeichnen zu lassen.“
Um sich eine gewisse Flexibilität zu erhalten, könnten Arbeitgeber weiterhin mit ihren Arbeitnehmern vereinbaren, dass ein bestimmtes Überstundenkontingent im Monat durch das Bruttogehalt abgegolten sei, also nicht extra vergütet werden müsse. „Eine Grenze findet eine solche Gestaltung im Übrigen ebenso beim Mindestlohn, welcher in jedem Fall abgerechnet und ausgezahlt werden muss. Auch bei 450-Euro-Jobbern ist es weiterhin möglich, Überstunden zum Beispiel in Teilbeträgen auszuzahlen, so dass die Grenze nicht überschritten wird.“
Die Pflicht des Arbeitgebers zur Aufzeichnung der Arbeitszeit führt laut Roth und Virkus nicht dazu, dass nun automatisch Arbeitszeitkonten eingeführt werden, die flexible Arbeitszeiten ermöglichen. „Hierfür bedarf es ausdrücklicher arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, wonach Überstunden in einem bestimmten Zeitraum beispielsweise durch Minusstunden in einem anderen abgebummelt werden können, so dass das Arbeitszeitkonto zum Beispiel im Jahresschnitt ausgeglichen ist.“
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber wirke sich auch nicht auf die Schwierigkeiten von Arbeitnehmern aus, Überstunden geltend zu machen. Dass diese angefallen seien, müssten Arbeitnehmer weiterhin durch eigene Aufzeichnungen und Beweismittel belegen, wie das Bundesarbeitsgericht bereits in einem Urteil vom 4. Mai entschieden habe. „Dies hat sich also durch die Pflicht der Arbeitgeber zur Aufzeichnung der Arbeitszeit nicht geändert.“
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