Krebsmedikamente

Zusatznutzen will Weile haben

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Berlin -

Damit Arzneimittel, für die es einen dringenden medizinischen Bedarf gibt, schnellstmöglich auf den Markt kommen, gibt es das beschleunigte Zulassungsverfahren. Was es nicht gibt, ist eine Entsprechung auf Ebene der Nutzenbewertung: Mit Tagrisso (Osimertinib) ist das zweite Medikament durchgefallen, von dem eigentlich Patienten profitieren sollten.

Tagrisso war im Februar von der EU-Kommission zur Behandlung erwachsener Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem EGFR-T790M-mutationspositivem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) zugelassen worden. Es ist laut Hersteller AstraZeneca der erste Tyrosinkinase-Inhibitor, mit dem die Mutation zielgerichtet überwunden werden kann. „In der klinischen Realität hat sich Osimertinib bereits als erhebliche Verbesserung für die Prognose der Patienten erwiesen“, sagt AstraZeneca-Deutschlandchef Dirk Greshake.

Bislang stand für die Behandlung entsprechender Patienten lediglich eine Chemotherapie mit eingeschränkter Wirksamkeit und schwerwiegenden Nebenwirkungen zur Verfügung. Sowohl die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) als auch die US-Zulassungsbehörde FDA hatten den Wirkstoff daher im beschleunigtem Verfahren geprüft und auf Basis einarmiger Phase-II-Studiendaten zugelassen: In zwei klinischen Studien der Phase II konnte das Gesamtüberleben der 474 Patienten um knapp zehn Monate verlängert werden. Die Ansprechrate lag bei 66 Prozent.

Diesen Daten konnte der G-BA nichts abgewinnen. Wie schon das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erkannten die Prüfer aus formalen Gründen keinen Zusatznutzen: Die historischen Vergleiche wurden für ungeeignet oder irrelevant befunden und nicht für die Bewertung herangezogen. Der Beschluss ist befristet, in einem Jahr kann der Hersteller ein neues Dossier zur Prüfung einreichen.

Bei AstraZeneca ist man zuversichtlich, dann mit Phase-III-Daten punkten zu können, die als Nachtrag zur Zulassung gerade erhoben und Ende des Jahres vorgestellt werden. Die Entscheidung des G-BA kann man in Wedel aber nicht verstehen: Die Entscheidung stehe im Kontrast zur klinischen Wirklichkeit, wo Daten und Praxis eine hohe Wirksamkeit und gute Verträglichkeit von Osimertinib belegten, so Greshake. Aktuell werden nach seinen Angaben rund 300 Patienten mit dem Präparat behandelt.

FDA und EMA hätten das beschleunigte Zulassungsverfahren stark unterstützt, da der Wirkstoff von Patienten dringend benötigt werde, so Greshake. „Und dann werden wir als Hersteller aufgrund dieses beschleunigten Verfahrens im Rahmen der Nutzenbewertung massiv benachteiligt.“

Im Sinne der betroffenen Patienten, für die es keine alternative Therapie gebe, brauche man für diese widersprüchliche Sachlage dringend eine Lösung, so Greshake. Einstweilen bleibe Tagrisso zwar voll verordnungs- und erstattungsfähig. Aber die Botschaft ist klar: „Es darf nicht in Kauf genommen werden, dass künftig innovative onkologische Therapien möglicherweise nicht mehr im deutschen Markt verfügbar sind.“

Man habe die aktuell bestmögliche Evidenz generiert und in mehreren indirekten Vergleichen die Überlegenheit gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie innerhalb der Zielpopulation gezeigt, ergänzt Dr. Julia Büchner, Vice President Pricing and Market Access. „Eine Diskrepanz zwischen der Bewertung der Zulassungsbehörden und dem G-BA, wie wir sie mit diesem Beschluss erleben, darf es nicht geben.“

Der Konzern will im Dialog mit dem G-BA an einer konstruktiven Lösungen arbeiten. Allerdings könnte der Fall auch vor der Schiedsstelle landen. Novartis hat die Schlichter bereits angerufen, nachdem Zykadia (Ceritinib) Ende vergangenen Jahres ebenfalls durchgefallen war. Das Krebsmedikament wird ebenfalls bei NSCLC eingesetzt und war ebenfalls im beschleunigten Verfahren zugelassen worden – und beim G-BA durchgefallen. Alle anderen Wirkstoffe, die im beschleunigten Verfahren zugelassen wurden, sind Orphan drugs, für die ein Zusatznutzen automatisch als belegt gilt.

Eine positive Nachricht gab es dann auch noch für AstraZeneca: Brilique (Ticagrelor) hat laut G-BA einen geringen Zusatznutzen bei Hochrisikopatienten mit einem Herzinfarkt in der Vorgeschichte. Der Thrombozytenaggregationshemer war das erste Präparat überhaupt. das nach dem AMNOG-Verfahren geprüft wurde. Ein „beträchtlicher Zusatznutzen“ wurde 2011 für Patienten mit instabiler Angina pectoris sowie für Patienten mit Myokardinfarkt ohne eine sogenannte ST-Strecken-Hebung attestiert.

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