Sozialexperiment

1000 Euro Grundeinkommen zu verlosen

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Berlin -

Wer Geld will, muss es sich verdienen? Ein Berliner sieht das anders: Was passiert, wenn man Menschen einfach 1000 Euro pro Monat in die Hand drückt? „Sie schmeißen ihren Job“, sagen die einen. „Sie arbeiten weiter, aber freiwillig“, die anderen. Wenn über ein bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, müssen alle spekulieren – schließlich wurde es noch nirgends eingeführt. Der Berliner Michael Bohmeyer hat das Experiment gewagt: Er verlost bedingungslose Grundeinkommen. Die Gewinner sind begeistert. Kritiker halten die Idee für utopisch.

Bohmeyer gründete eine Art Crowdfunding-Lotterie. Über eine Webseite verlost der 31-Jährige Grundeinkommen: 1000 Euro pro Monat, ein Jahr lang. Das Geld kommt von Spendern. 20 Menschen in ganz Deutschland haben seit der ersten Verlosung im Oktober vergangenen Jahres gewonnen. „Hier hast du. Mach damit, was du willst“, beschreibt Bohmeyer das Konzept.

Olga Zimmer gehört zu den ersten Gewinnern. In dem Jahr mit dem geschenkten Geld unternahm die Krankenpflegerin mit ihrem Mann und den zwei Kindern mehr Ausflüge, fuhr in den Kurzurlaub, traf mehr Freunde. Zimmer fühlte sich freier – obwohl sie noch genauso viel arbeitete wie vorher. „Das Grundeinkommen hat mich verändert“, sagt sie jetzt, nach den zwölf Monaten. „Ich weiß jetzt: Ich kann mehr als arbeiten, Kinder und Mutter pflegen.“

Auch Bankkaufmann Marc Wander hatte Losglück: Der 28-Jährige sieht die monatlichen 1000 Euro als Chance, seine chronische Darm-Krankheit in den Griff zu bekommen. An der Arbeit habe er immer funktionieren müssen, das habe die Symptome verschlimmert. Seit anderthalb Jahren ist er krankgeschrieben, macht eine Psychotherapie. Gerade als sein Anspruch auf Krankengeld auslief, kam das Grundeinkommen. „Ich fühle mich respektiert und sicher, obwohl ich gerade für die Gesellschaft nicht funktionieren kann.“

Nicht alle Gewinner verraten Grundeinkommens-Pionier Bohmeyer, was sie mit dem Geld machen. Von den etwa zwei Dritteln, die ihn auf dem Laufenden halten, wisse er aber: Fast alle arbeiten weiter. Nur einer hat seinen Job gekündigt. Zwölf Mitarbeiter hat Bohmeyers Grundeinkommens-Initiative mittlerweile, an der letzten Verlosung Anfang November nahmen rund 100.000 Leute teil. Zuletzt seien an einem Wochenende 12.000 Euro an Spenden reingekommen – genug für ein ganzes Ein-Jahres-Grundeinkommen.

Bohmeyers Initiative beschert dem Thema Aufmerksamkeit. Aber er ist natürlich nicht der Erste, der über das „Geld für alle“ nachdenkt. Schon im 16. Jahrhundert propagierte der britische Autor Thomas Morus in seinem Roman Utopia einen bedingungslosen Lebensunterhalt für jedermann – um Diebstahl vorzubeugen. Psychologen griffen den Gedanken auf, Wirtschaftswissenschaftler entwickelten Konzepte. In der Schweiz sammelt derzeit eine Initiative Stimmen für einen Volksentscheid über das Grundeinkommen. Durchgesetzt hat sich die Idee bislang nirgends.

Zu Recht, sagt Professor Dr. Dominik Enste, Experte für Wirtschaftsethik am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Zwar müsse bei einer Zahlung an jedermann nicht mehr geprüft werden, ob jemand wirklich bedürftig sei. Man könne den Menschen aber schwer vermitteln, dass auch Topverdiener einfach so Geld bekommen sollen. Zudem sei ein Grundeinkommen nicht finanzierbar, „weil es zu viele Anreize zerstört, noch legal zu arbeiten“.

Der Gründer des Drogeriemarkts dm, Professor Dr. Götz Werner, will diese Argumentation nicht gelten lassen. In seinen Filialen erlebe er, dass Menschen auch im Rentenalter weiterarbeiteten – weil es ihnen Spaß mache. Arbeit sei eben mehr als nur Lohnerwerb. Der Unternehmer tritt schon seit über zehn Jahren öffentlich für ein Grundeinkommen ein. Für ihn ist das eine Frage der Menschenwürde: „Das Grundeinkommen würde dafür sorgen, dass man einander auf Augenhöhe begegnet.“ Bislang seien viele Menschen gezwungen, für Geld erniedrigende Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.

Um das Grundeinkommen zu finanzieren, würde Werner das ganze Steuersystem auf den Kopf stellen. Alle Steuern müssten wegfallen, bis auf eine: die Konsumsteuer, eine Art Mehrwertsteuer in Höhe von satten 50 Prozent. Unbeliebtere Jobs müssten höher bezahlt werden als bisher, dann würden sich trotzdem noch Leute finden, die sie machten.

„Natürlich weiß ich genauso wenig wie jeder andere Mensch, ob das funktionieren würde“, sagt Michael Bohmeyer. Seine Lotterie sei schließlich kein wissenschaftliches Experiment, sondern eher eine Kampagne. In seinem Kreuzberger Start-Up-Loft feilt er aber schon am nächsten Schritt: Bald will er lebenslange Grundeinkommen verlosen.

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