Pharmakritik

Glücksrad für Medikamente

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Berlin -

Bielefeld, Brüssel, Berlin und Genf: Überall mischen sie sich ein – für eine „vernünftige Medikamenten-Versorgung“. Seit 1981 untersucht die Buko-Pharma-Kampagne die Aktivitäten der deutschen Pharmahersteller in der Dritten Welt und engagiert sich für Verbraucherschutz und unabhängige Arzneimittelinformation. Den unzureichenden Arzneimittelzugang in Afrika nimmt derzeit das Straßentheater der Kampagne „Schluck&Weg“ aufs Korn.

Mit einer skurrilen Komödie will die Theatergruppe darauf aufmerksam machen, dass 80 Prozent der Menschen weltweit keinen Zugang zu wichtigen Medikamenten erhalten. In dem Stück geht es auch um das Geschäftsverhalten internationaler Hersteller. Zwischen dem 1. und 7. September tritt die Gruppe täglich auf öffentlichen Plätzen und an Schulen in Bielefeld, Rheine, Münster, Hamm, Aachen und Köln auf.

„Wir sind jedes Jahr an anderen Orten in Deutschland, immer mit einem anderen Thema“, so Organisatorin Claudia Jenkes. Die Basis für das diesjährige Theaterstück bildet eine Studie: Über ein Jahr lang untersuchte Buko-Pharma gemeinsam mit der ugandischen Koalition für Gesundheitsförderung und soziale Entwicklung (HEPS) das Geschäftsverhalten von Boehringer Ingelheim, Bayer und Baxter in Uganda, etwa das Arzneimittelsortiment, die Werbepraktiken oder auch Strategien politischer Einflussnahme.

Das Resümee: Uganda sei ein vergessener Markt und die Versorgung mit lebenswichtigen Arzneimitteln mangelhaft. Wegen fehlender Gewinnspanne zögen sich die Konzerne aus dem Land zurück. Generika existierten häufig nicht oder seien nicht verfügbar. „Die Situation lässt sich auf viele andere Länder übertragen“, sagt Jenkes. Millionen Menschen auf der Welt stürben an Krankheiten, die eigentlich behandelbar wären. Mitunter böten die Hersteller gerade in armen Ländern zahlreiche unsinnige und riskante Mittel an. Arzneimittelwerbung habe vor diesem Hintergrund besonders fatale Auswirkungen.

Genau darum geht es im Stück. Insgesamt sieben Darsteller spielen bei Schluck&Weg mit – darunter Studenten, Medien- und Gesundheitswissenschaftler, Sozialpädagogen und Musiker. In einem einwöchigen Workshop haben die ehrenamtlichen Schauspieler das rund 20-minütige Stück gemeinsam mit einer Theaterpädagogin und Regisseurin einstudiert.

Bis zu fünf Auftritte hat die Gruppe am Tag. Die Geschichte: Zwei Kandidatinnen im Staat Upaganda spielen bei einer Medikamenten-Glücksrad-Show um für sie notwendige Medikamente. Während der Show versucht eine Vertreterin des verlosenden Pharmaunternehmens beharrlich, die Show zu kontrollieren und achtet darauf, dass genug geworben wird. Schlussendlich erhält eine Kandidatin ein T-Shirt, die andere ein Verhütungsmittel, dass sie in ihrem Alter nur noch verschenken kann.

„Wir haben die Analogie gesehen zur Pharmawirtschaft, der es in Uganda relativ viel um Show geht, aber nicht wirklich darum, Arzneimittel zur Verfügung zu stellen“, sagt die Ärztin Marie Nekola, die zum ersten Mal in einem Stück der Kampange mitspielt. Teilweise würden sinnvolle Medikamente auf den Markt gebracht, teilweise aber auch Arzneimittel, die nicht die 1. Wahl seien, obwohl es Präparate mit weniger Nebenwirkungen gebe, die zudem günstiger seien. „So werden Konzerne durch Entwicklungshilfe subventioniert“, sagt Nikola.

In den Fußgängerzonen errege das Stück viel Aufsehen. Durch die vielen Witze reagierten die Zuschauer positiv, anschließend ergäben sich viele Nachfragen. „So rühren wir die Werbetrommel für das Thema“, sagt Nekola. Im gleichen Zuge kann die Gruppe auf die Vorträge von Dennis Kibira, Apotheker und Geschäftsführer von HEPS in Uganda, aufmerksam machen.

Kibira berichtet in Abendveranstaltungen nach den Auftritten über die Gesundheitssituation in seinem Heimatland. Ein Mitarbeiter von Buko-Pharma geht zudem auf Globalisierungsprozesse und deren negative Auswirkungen im Gesundheitsbereich, auch in Deutschland, ein.

„Im Alltag merke ich schon, dass ich kritischer gegenüber Medikamenten-Verschreibungen bin als früher“, sagt Nikola, die sieben Monate in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet hat. „Ich prüfe jetzt eher, wer die Studien durchgeführt hat und was genau drin steht.“

Neben dem Straßentheater produziert die Pharma-Kampagne auch Broschüren, Flugblätter und wissenschaftliche Studien und führt Seminare und Aktionen durch, etwa Pillenfläschchen für den Bundestag. Auch Unterschriftenaktionen und parlamentarische Anfragen initiiert die Gruppe. Zehnmal jährlich erscheint der Pharma-Brief, in dem etwa die Studien vorgestellt werden. Das aktuelle Heft zeigt die jüngste Untersuchung in Uganda. In Afrika, Asien und Lateinamerika gebe es gravierende Probleme mit unsinnigen und gefährlichen Arzneimitteln, so Buko-Pharma.

Viele der Arzneimittel stammten aus Deutschland. Durch Aufklärung und gezielte Aktionen will die Kampagne das öffentliche Bewusstsein schärfen. Einige Erfolge kann Buko-Pharma vorweisen: So sei ein deutsches Exportkontrollgesetz auf den Weg gebracht worden, mehrfach hätten die Aktionen auch zum Marktrückzug gefährlicher Präparate geführt.

Buko-Pharma ist eine Aktion der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO), einem Zusammenschluss von 130 Dritte Welt Aktions- und Solidaritätsgruppen in Deutschland. Getragen wird die Kampagne vom Verein Gesundheit und Dritte Welt. Die Organisatoren arbeiten mit Ärzten, Pharmazeuten und Verbrauchergruppen zusammen und werden unterstützt von Fachleuten aus der Entwicklungszusammenarbeit, Politikern und einem wissenschaftlichen Beirat. Durch die Mitarbeit im Netzwerk Health Action International (HAI) hat sie Kontakt zu Gruppen in über 70 Ländern in aller Welt.

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