ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Der nächste Wahnsinn: Die Wettbewerbs-Preisangaben-Pflicht Alexander Müller, 28.05.2022 07:20 Uhr

Apotheken müssen beim Wettbewerbervergleich die Preise der Konkurrenz mit angeben. Grafik: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Gerade erst hat PKA Dorothee K. alle Preisschilder ausgetauscht, um der neuen Preisangabenverordnung gerecht zu werden, da ruft ihre Chefin sie zu sich. „Tut mir leid, aber wir müssen von vorne anfangen…“

Und zwar: Die Verbraucher:innen sollen einen absolut ungetrübten Überblick über das Preisgeschehen haben. Weil die Nutzung von Preisvergleichs-Apps nicht vorausgesetzt werden kann, muss der Handel diese Leistung erbringen. Konkret: Neben dem eigenen Preis (mit Kilo-, Liter- und Goldpreisangabe) und dem Sonderangebot vom letzten Sommer muss jetzt immer zwingend auch der sogenannte Wettbewerbspreis stehen.

Das gilt auch und vor allem für Apotheken: Bei jedem freiverkäuflichen Produkt ist neben dem Eigenpreis auch der Verkaufspreis aller umliegenden Apotheken anzugeben. Der Radius der Referenzkonkurrenz bemisst sich nach der Einwohnerzahl: In Großstädten 2 Kilometer, in Klein- und Mittelstädten 5 Kilometer, auf dem platten Land 20 Kilometer.

Um Abmahnungen von Mitbewerbern oder ansonsten beschäftigungslosen Abmahnanwälten zu vermeiden, darf der Konkurrenzpreis nicht älter als zwölf Stunden sein. Doch Vorsicht: Wer sich mit den Kolleg:innen allzu kameradschaftlich aushilft und die Preise telefonisch austauscht, geht das Risiko ein, vom Kartellamt wegen illegaler Preisabsprachen belangt zu werden.

Doch zum Glück gibt es den Plattformkapitalismus: Unter Neighborhood-Discount oder kurz NEID.com können Apotheker:innen ihre eigenen Preise hochladen und die der Konkurrenz einsehen. Die Listung und Nutzung kostet 149 Euro pro Monat, eine Schnittstelle zur Warenwirtschaft soll es demnächst geben. Bis dahin müssen alle Preise händisch eingetragen werden, dafür ist es immerhin schön transparent und vermutlich wettbewerbsrechtlich zulässig.

Jetzt mal im Ernst: Dieser einheitliche Vergleichspreis ist ja eine gute Idee – selbst wenn die Referenzgröße Kilo oder Liter im Einzelfall nicht unbedingt für Klarheit sorgt. Nur gibt es bei der Umsetzung der neuen Preisangabenverordnung wieder tausende Ausnahmen und regionale Unterschiede. Für ein kleines bisschen Verbraucherschutz wird dem Handel viel Befassung mit dem nächsten bürokratischen Monster abverlangt.

Ihrerseits einen Preisvergleich anstellen müssen die Apotheken bei ihren Großhandelskonditionen. Und hier ist Transparenz traditionell nicht gerade leicht herzustellen. Die Sanacorp will immerhin den Bezug zum aktuellen Dieselpreis offenlegen und die Anzahl der Touren über eine Servicegebühr drücken. Phoenix-Chef Sven Seidel hat seinerseits die Konditionenkürzungen als „unvermeidlich“ beschrieben. Es gehe nicht um Gewinn, sondern um die Aufrechterhaltung des Systems. Der Ertrag soll auf Vorjahresniveau bleiben. Der Ertrag des Vorjahres sind 335 Millionen Euro. Lassen wir mal so stehen.

Noch eine schöne Zahl: 0,000001 Prozent. Das ist die „echte E-Rezeptquote“ bei der Techniker Krankenkasse. TK-Chef Thomas Ballast hat das an der Tafel so vorgerechnet: Im April wurden 438 E-Rezepte bei der TK abgerechnet, darunter aber nur vier oder fünf echte E-Rezepte, also Verordnungen, die auch digital übertragen wurden. Der Rest waren QR-Codes ausgedruckt auf Zetteln. Im gleichen Zeitraum wurden aber bei der TK 3,8 Millionen Verordnungen abgerechnet, daher die Quote. Die Lage im halbstattlichen Testcenter ist mittlerweile so verzweifelt, dass Gematik-Mitarbeiter schon selbst Testrezepte an nichtsahnende Apotheken schicken.

Die Schwierigkeit ist wohl eher, außerhalb von Nürnberg, Herzberg oder Zingst überhaupt an ein E-Rezept zu kommen. Denn die Ärzteschaft, zumal die verfasste, ist nach wie vor nicht überzeugt. Bei der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wurde eine sehr giftige Resolution verabschiedet. Kurzfassung: Wenn das E-Rezept nichts nutzt oder nicht funktioniert, werden die Ärzt:innen es nicht ausstellen. Wenn es nicht ausreichend getestet ist, wird es nicht eingeführt. Wo es getestet wird, bestimmen die Ärzt:innen. Der Aufwand fürs Testen muss entschädigt werden. Wenn die Gematik nicht mitspielt, sind die Ärzt:innen raus.

20.000 E-Rezepte sind immerhin jetzt laut Gematik-Dashboard eingelöst, von wem auch immer. Im Zweifel waren es die Zahnarztpraxen, die neuen besten Freunde der Apotheken und erfrischend frei von Verlustängsten (Reizthema Impfung). Irgendwer hat jetzt ausgerechnet, dass sich mit dem E-Rezept Milliarden sparen lassen. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann bestimmt. Die Papierpreise steigen derzeit ebenfalls bedenklich.

Und jetzt auch noch die Affenpocken. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kommt kaum hinterher, sich auf den Coronaherbst vorzubereiten, da muss er mit dem RKI schon über die Quarantänezeiten beim nächsten Affen kümmern, der durchs Dorf getrieben wird. 21 Tage ist die erste Isolationsempfehlung, wobei sich der Wissenstand jetzt täglich ändern dürfte.

Eine neue Pandemie, so weit sind sich die Experten einig, wird es nicht geben, trotzdem ist der Pocken-Impfstoff schon sehr gefragt. Bedenklicher als die Gefahr der Affenpocken sind die gesellschaftlichen Randerscheinungen: Über das Problem der Stigmatisierung und die „German Affenpockenangst“ haben wir uns in unserem Podcast NUR MAL SO ZUM WISSEN unterhalten. Viel Spaß beim Reinhören und schönes Wochenende!