Lobbyismus

Zwischen Hinterzimmer und Sommerfest Lothar Klein, 23.11.2016 13:39 Uhr

Berlin - 

Die aktuelle Diskussion über die Sponsorenaktivitäten der SPD wirft ein Schlaglicht auf die alltäglichen Bemühungen der Interessengruppen, mit den Entscheidungsträgern der Politik ins Gespräch zu kommen. Die Wege sind verschlungen und vielfältig. Die Grenzen zwischen zulässigem Lobbyismus und versteckter Einflussnahme sind fließend. Erst kürzlich eröffnete beispielsweise Boehringer Ingelheim in Berlin sehr diskret sein eigenes Lobbybüro. Wie es sich für Lobbyisten gehört, war die Gästeschar zur Einweihung handverlesen. Immerhin gab sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Ehre. Prominenteren Besuch kann ein Gesundheitslobbyist auf dem Berliner Parkett nicht erwarten.

In keinem anderen Sektor der inländischen Wirtschaft tummeln sich so viele Lobbyisten wie im Gesundheitswesen. Es geht um inzwischen knapp 350 Milliarden Euro Umsatz und fünf Millionen Beschäftigte. Um die Verteilung der Gelder rangeln Apotheker, Ärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen und Pharmakonzerne – ein Haifischbecken.

Neben Boehringer machen Sanofi, Pfizer, GlaxoSmithKline und andere Pharmakonzerne den Verbänden mit eigenen Büros harte Konkurrenz. Die wachsende Lobbyisten-Schar belegt, dass Partikularinteressen eine immer größere Rolle im Politikbetrieb spielen. Das Spannungsfeld ist riesig: Verbände vertreten Gruppeninteressen. Die großen Konzerne der Branche lobbyieren lieber auf eigene Rechnung. Sie verfügen über mehr Geld und Personal und müssen sich so mit den Verbandsfürsten nicht abstimmen.

Wer heute im und ums Berliner Regierungsviertel spazieren geht, findet überall Hinweise auf das tägliche Lobbygeschäft. In der Friedrichstraße in unmittelbarer Nähe zum Bundesgesundheitsministerium logieren beispielsweise die Pharmaverbände BPI und BAH sowie der GKV-Spitzenverband. Nicht viel weiter entfernt hat die ABDA ihr Übergangsquartier an der Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße bezogen. In der Rheinhardtstraße logieren der Marburger Bund, der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), der Verband der Zytostatika herstellenden Apotheken (VZA) und der Bundesverband klinik- und heimversorgender Apotheker (BVKA). Die Politikagentur des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA) ist am Schiffbauerdamm zuhause.

Ein weiteres Zentrum des Gesundheitslobbyismus findet sich am westlichen Ausgang des Berliner Tiergartens: Unweit der S-Bahn-Station haben sich mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Bundesärztekammer und der Deutsche Krankenhausgesellschaft ebenfalls Schwergewichte im Lobbygeschäft angesiedelt – mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Untermieter, der über den Leistungskatalog der Krankenkassen bestimmt. Kurze Wege fördern die Kontakte, ob beim Mittagessen in der Kantine oder beim gemeinsamen Arbeitsweg. Man kennt sich, man hilft sich. Jedenfalls sind persönliche Kontakte das wertvollste Kapital der Lobbyisten.

Nach Schätzung von politischen Beobachtern rivalisieren im Berliner Regierungsviertel mehr als 5000 Lobbyisten, geben sich die Klinke in die Hand. Genaue Zahlen aber kennt niemand. Es gibt anders als in anderen Ländern in Deutschland kein Lobbyisten-Register. In die offizielle Verbändeliste beim Deutschen Bundestag haben sich nur 2260 Verbände eingetragen. Dort findet sich natürlich auch die ABDA.

Das aber ist nur der sichtbare Teil des Lobbywesens. Unzählige PR-Agenturen und Rechtsanwaltskanzleien bearbeiten im Auftrag von Interessengruppen Abgeordnete, Minister und deren Mitarbeiter. Dort kann man vieles einkaufen: Wer einen Termin bei einem Minister sucht, muss dafür auch schon mal tief in die Tasche greifen. Lobbyismus ist eben auch ein Geschäft, wie die Diskussion über die SPD jetzt offen legt.

Diskretion ist dabei Ehrensache, aber die Methoden sind nicht immer gentlemanlike. Noch bevor Gröhe 2013 seinen Amtseid leisten konnte, meldete sich ein übereifriger Lobbyist bereits auf dem Handy seiner Frau. Auch Post schicken Lobbyisten gerne mal zum Wochenende an Gröhes Privatadresse. Allerdings ohne große Wirkung. Die legt der Hausherr Montags ganz unter in den Posteingangsstapel – die Bearbeitung dauert umso länger. Auch G-BA-Chef Josef Hecken verbat sich bereits Kontaktaufnahmen via Facebook – sein Kanal sei nicht für solche Zwecke vorgesehen.

Auch wenn nicht alle Mittel recht sind, geht es den Lobbyisten vor allem um den diskreten und schnellen Zugang zum Politikbetrieb. Man macht sich Freunde, bevor man sie braucht. Ziel ist es, Probleme zu erkennen und auszuräumen, bevor diese aufbrechen.

Ein Schlaglicht auf die Arbeitsweise warf vor zwei Jahren der Streit um die Bundestagsausweise, die Lobbyisten ungehinderten Zugang zu den Abgeordnetenbüros gewährten. Allein die CDU/CSU-Fraktion hatte 700 dieser begehrten Ausweise ausgegeben. Das Portal Abgeordnetenwatch zählte damals über 1100 Interessenvertreter mit Dauerzugang zu den Fraktionen. Es hagelte Kritik. Jetzt sollen die Hausausweise nur noch an Verbände ausgegeben werden.

Macht nichts: Denn die Kontakte spielen sich nicht nur in den meist engen Abgeordnetenbüros ab. In den Parlamentswochen gibt es viele Gelegenheiten zum Meinungs- und Informationsaustausch: Es gibt Parlamentarische Abende und Frühstücke, Sommerfeste und vielfältige sonstige Aktivitäten, bei den Politiker auf Lobbyisten treffen. Tagsüber trifft man sich gerne im Café Einstein Unter den Linden.

Auch die Apotheker mischen dabei mit: So lädt beispielsweise der Landesapothekerverband Baden-Württemberg gemeinsam mit der Kammer einmal im Jahr zum Parlamentarischen Abend in die Landesvertretung zu Wein und Maultauschen. Dort findet auch das politische Frühstück statt. Auch der Bayerische Landesapothekerverband und Kammer sind in Berlin unterwegs.

Die ABDA konzentriert ihre öffentlich sichtbaren Lobbyaktivitäten auf das traditionelle Sommerfest, das mittlerweile in einer Kreuzberger Kirche stattfindet. Darüber hinaus sucht das Apothekerhaus wie alle Lobbytruppen mehr oder weniger erfolgreich den persönlichen Kontakt zu einflussreichen Politikern. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und DAV-Chef Fritz Becker trifft man so bei verschiedenen Gelegenheiten, beispielsweise bei Diskussionsrunden des AOK-Bundesverbands, beim GKV-Spitzenverband oder bei der KBV.

Man trifft sich, man kennt sich, man schafft eine angenehme Atmosphäre, wirbt und argumentiert bei allen Gelegenheiten für seine Interessen oder nimmt Einfluss. Seit kurzem lädt beispielsweise IMS Health Abgeordnete und Verbände regelmäßig in ein Hotel an der Berliner Friedrichstraße und informiert über die neuesten Entwicklungen auf dem Arzneimittelmarkt, über Absatz und Umsatz und einzelne Therapiegruppen. Und beim CDU-Wirtschaftsrat wird gelegentlich auch über Arzneimittelpreise diskutiert. Dabei wurde den Apothekern der schwarze Peter für immer noch zu hohe Preise billiger Generika zugespielt und das Apothekenhonorar als Hauptkostentreiber dargestellt. So wird Stimmung gemacht. Wer nicht mitspielt, kann die Fakten nicht zurechtrücken. Auch so funktioniert Lobbyismus.

In den Lobbybüros werden Positionspapiere oder sogar ganze Gesetzespassagen geschrieben und in den politischen Apparat eingespeist. Kontakte und Listen mit Handynummern von Politikern sind Berufsgeheimnis und Währung der Lobbyisten zugleich. Jahrelang lud beispielsweise die Deutsche Lufthansa mittwochs zum Golfturnier an den südlichen Stadtrand Berlin. In lockerer Runde ließen sich dort Namen, Adressen und Telefonnummern sammeln, austauschen und Kontakte pflegen.

Allerdings verhält es sich mit dem Lobbyismus ähnlich wie mit bei der Werbung. Man kann nie sicher sein, welcher Teil der Arbeit und der Kosten wirkt. Paradebeispiel für am Ende nutzlosen Einsatz ist die Zigarettenindustrie. Jahrzehntelang sponserte Branchenprimus Philipp Morris mit einer luxuriösen Presselounge die Parteitage fast aller Parteien. Dort tummelten sich Politiker, Journalisten und Heerscharen von Philipp Morris Managern bei kostenfreien Getränken und Speisen aller Art.

Trotzdem verhängte die Politik zuerst das Werbeverbot für Tabak und schließlich das Rauchverbot in Gaststätten, Restaurants und öffentlichen Einrichtung. Philipp Morris zog sofort die Konsequenz und strich sein Engagement.