Sehnenschäden & Arterienrisse

Fluorchinolone: EMA warnt erneut vor Nebenwirkungen Cynthia Wegner, 26.05.2023 14:35 Uhr

Fluorchinolone in der Kritik: Schon seit Jahren wird immer wieder vor schwerwiegenden Nebenwirkungen gewarnt. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Bereits seit Jahren wird der Umgang mit Fluorchinolon-Antibiotika kritisiert. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hatte damals vor dem breitflächigen Einsatz gewarnt, da es zu seltenen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen kann. Nun hat der Sicherheitsausschuss erneut eine Warnung ausgesprochen: Die Maßnahmen zur Verordnungseinschränkung seien offenbar ohne große Wirkung geblieben.

Vor rund sechs Jahren wurde vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein europäisches Risikobewertungsverfahren für Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone und Chinolone angestoßen. Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte damals über Nebenwirkungen berichtet und entsprechende Warnungen ausgesprochen. So sollte die Anwendung bei den ersten Anzeichen von Schmerz oder Entzündung abgebrochen werden. Im Idealfall sollte auf andere Antibiotika wie Penicilline, Doxycyclin oder auch Makrolide ausgewichen werden.

Sehnen-, Nerven- und Arterienschäden möglich

Schon seit Jahren wird immer wieder vor schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Sehnenschäden, Arterienrissen und Nervenschäden gewarnt – entsprechende Hinweise wurden in die Produktinformationen aufgenommen. Vor allem ältere Patient:innen sind von den Komplikationen betroffen. Orale Fluorochinolon-Antibiotika können Studien zufolge zudem zu einer Netzhautablösung bei den behandelten Patient:innen führen. Mittlerweile werden auch neurologische und psychische Störungen mit der Antibiotikagruppe in Verbindung gebracht: So könnten Patient:innen unter Ängsten, Unruhe und Panik leiden oder gar suizidale Tendenzen entwickeln. Auch ein chronisches Erschöpfungssyndrom durch die Einnahme wird diskutiert.

Die Warnungen der Arzneimittelbehörden wurden schließlich auch von der AMK aufgegriffen, es folgte ein Rote-Hand-Brief. Ärzt:innen sollten, wenn antibiotische Therapiealternativen vorliegen, Fluorchinolone nicht mehr verordnen. In Deutschland sind Ciprofloxacin, Norfloxacin, Enoxacin, Ofloxacin, Levofloxacin und Moxifloxacin zugelassen.

2018 sprach der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) weitere Anwendungsbeschränkungen aus. In sehr seltenen Fällen würden Patient:innen, die mit Fluorchinolonen oder Chinolonen behandelt wurden, dauerhafte Nebenwirkungen erleiden, die sich hauptsächlich auf die Sehnen, Muskeln oder Knochen sowie das Nervensystem beziehen.

Einschränkung der Verordnungsempfehlungen

Fluorchinolone sollen laut PRAC-Empfehlung nicht mehr angewendet werden:

  • zur Behandlung von Infektionen, die ohne Behandlung besser werden oder nicht schwerwiegend sind (wie Racheninfektionen)
  • zur Verhinderung von Reisedurchfall oder wiederkehrenden Infektionen der unteren Harnwege (Harninfektionen, die nicht über die Blase hinausgehen)
  • zur Behandlung von Patient:innen, die zuvor unter schweren Nebenwirkungen unter einem Fluorchinolon litten
  • zur Behandlung von leichten oder mittelschweren Infektionen, sofern nicht andere antibakterielle Arzneimittel, die für diese Infektionen empfohlen werden, nicht angewendet werden können.

Außerdem sollte die Stoffgruppe insbesondere bei älteren Patient:innen, Patient:innen mit Nierenproblemen, Patienten, die eine Organtransplantation erhalten haben, oder solchen, die mit einem systemischen Kortikosteroid behandelt werden mit Vorsicht angewendet werden. Denn diese Patient:innen haben ein höheres Risiko für Sehnenverletzungen, die durch Fluorchinolone verursacht werden können.

Der PRAC empfiehlt außerdem, die Behandlung mit einem Fluorchinolon-Antibiotikum bei ersten Anzeichen einer Nebenwirkung wie beispielsweise entzündete oder gerissene Sehne, Muskelschmerzen oder -schwäche sowie Gelenkschmerzen oder -schwellungen zu beenden. Gleiches gilt für Nebenwirkungen, die das Nervensystem betreffen wie Müdigkeit, Depression, Verwirrung, Selbstmordgedanken, Schlafstörungen, Seh- und Hörprobleme, veränderter Geschmack und Geruch.

EMA-Studie zeigt zu häufige Verordnung auf

Eine aktuelle, von der EMA finanzierte Untersuchung zeigt, dass die Verordnung von Fluorchinolon-Antibiotika zwar zurückgegangen ist, allerdings würden die Antibiotika noch immer außerhalb der empfohlenen Verwendungszwecke verschrieben. Im Zuge der Studie wurden die Daten zwischen 2016 und 2021 aus sechs europäischen Ländern herangezogen. Demnach seien die Maßnahmen zur Verordnungseinschränkung ohne große Wirkung geblieben. Die EMA erinnert deshalb aktuell daran, den Einsatz auf Patient:innen zu beschränken, für die es keine therapeutischen Alternativen gibt. Die Verordnung soll außerdem nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.