Frustrierte Mitarbeiter, Spannungen im Team

Zweite Welle: Zurück zum Schichtsystem? APOTHEKE ADHOC, 04.11.2020 12:29 Uhr

Berlin - 

Deutschland steckt mitten in der zweiten Welle und die Apotheken stehen wieder vor wichtigen Entscheidungen, wie sie mit der sich verschärfenden Situation umgehen. Was passiert zum Beispiel bei einer Covid-19-Infektion im Team? Im Frühjahr stand vielerorts die Befürchtung im Raum, dass dann das ganze Team in Quarantäne muss. Als Lösung haben sehr viele Apotheken auf Schichtbetrieb gesetzt. Hat sich das bewährt? Viele Apotheken ziehen eine gemischte Bilanz, manche wollen auf keinen Fall zurück zu gesplitteten Teams, andere ziehen es als letzten Ausweg in Betracht.

„Am Anfang ging es, weil wenig los war“, sagt Lars Peter Wall. Der Inhaber dreier Apotheken in Neumünster hatte im Frühjahr im Schichtdienst gearbeitet und zieht eine gemischte Bilanz. „Wir haben das sechs Wochen lang gemacht, aber dann wurde es zu kompliziert. Mit Kurzarbeit, den Dienstplänen und so weiter wurde das wirklich ein Riesenaufwand.“ Notwendig war es auch deshalb, weil gerade zu Beginn absolute Unsicherheit bezüglich der Regelungen gab: Ab wann muss das ganze Team in Quarantäne? Also wendete er sich an sein Gesundheitsamt, fragte aktiv nach und erklärte seine Infektionsschutzmaßnahmen. „Die haben gesagt, dass das sehr gut klingt und dass deshalb bei einem Fall in einer meiner Apotheken wahrscheinlich nicht das ganze Team in Quarantäne müsste.“

Denn Wall hat sich in der Zwischenzeit noch weiter um die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitern bemüht: Neben Plexiglas herrscht Maskenpflicht in der ganzen Apotheke – OP-Masken hinter dem Plexiglas und im Backoffice, FFP2 bei jedem Kundenkontakt. Außerdem hat er pro Apotheke zwei Luftumwälzer bestellt, die er überall dort aufstellen will, wo nicht optimal gelüftet werden kann – Kostenpunkt: 10.000 Euro. „Aber das ist mir mein Team wert“, sagt er.

Im Moment habe er die Situation im Blick, Grund zur Panik gebe es aber nicht. „Wir haben hier in der Gegend noch relativ niedrige Infektionszahlen“, erklärt er. Sollte es schlimmer werden, plane er, von jeder Apotheke ein paar Mitarbeiter nach Hause zu schicken, um sozusagen ein Notteam vorzuhalten, dass einspringen kann, falls eine Apotheke geschlossen werden müsse. „Ich rechne aber im Moment nicht damit, dass das Gesundheitsamt bei mir ein ganzes Team in Quarantäne schicken würde.“ Den Schichtbetrieb wieder einzuführen, wolle er vermeiden; sollte sich die Situation aber bedeutend zuspitzen, käme auch das wieder in Frage.

Dass sich das zwischenzeitlich eingeführte Zweischichtsystem nicht so gut bewährt hat, sagt auch Inhaber Norbert Veicht. „Wir haben das schon nach drei oder vier Wochen wieder sein lassen“, so der Inhaber der Antonius-Apotheke in Massing. „Es kam einfach bei der Übergabe zu oft zu unglücklichen Missverständnissen, die dann das Arbeitsklima belastet haben.“ Seine Lösung war deshalb die komplette Maskenpflicht und ein striktes Lüftungsregime: „Wir haben einen Wecker in der Offizin, der einmal die Stunde klingelt, dann lüften wir komplett durch. Das ist aber jetzt schon teilweise sehr unangenehm, ich weiß nicht, wie das im Winter wird.“

Auch Wall berichtet von „gewissen Reibungen. Die seien bei ihm jedoch nicht stark ins Gewicht gefallen. „Alles in allem hat die Zusammenarbeit hervorragend geklappt, auch wenn die Kommunikation natürlich nicht einfacher ist, wenn man sich nicht mehr sieht. Da haben sich ganz neue Gruppen gebildet, die vorher nicht da waren.“

So ziemlich in der Mitte zwischen den beiden klingt das ganz ähnlich. „Ich hatte auch Schwierigkeiten und Missverständnisse befürchtet, aber so schlimm ist es nicht eingetreten“, sagt ein Apothekeninhaber aus Thüringen, der nicht namentlich genannt werden will. „Der Apothekenbetrieb lief besser als erwartet, wir haben aber auch ein relativ festes System, wer was macht. Missverständnisse gab es eher bei Abholern: Wenn einer kommt, weiß der Mitarbeiter am HV natürlich nicht sofort, was der gestern wollte.“ Allerdings: Er hat den Schichtbetrieb auch nur halb so lang aufrechterhalten wie Wall und hat aus ähnlichen Gründen damit aufgehört. „Gerade für Mitarbeiter mit Kindern war es sehr schwer. Dazu kommt, dass wegen der Mitarbeiterzahl in der Zeit niemand Urlaub nehmen konnte und sich die Tage aufgestaut hatten. Auch die Dienstplanung war natürlich sehr kompliziert.“

Und auch wenn es über die relativ kurze Zeit gut ging, so berichtet auch er, dass sich auf längere Dauer durchaus Konflikte angesammelt hätten. Ein paar persönliche Spannungen habe es natürlich gegeben und durch die erschwerte Kommunikation habe dann die Gefahr bestanden, dass Kleinigkeiten plötzlich zu Problemen werden. „Je länger das dauerte, desto mehr wurde es. Das hat sich noch nicht hochgeschaukelt, war aber am Köcheln. Über einen längeren Zeitraum hätte es sich potenzieren können“, erklärt er. „Das sind Probleme, die man zwar auch ohne Schichtbetrieb gehabt hätte, aber durch die schwierigere Kommunikation verstärkt es sich schneller. Es sind ja häufig Kleinigkeiten und die Kommunikation, die Brände löschen würde, bevor sie groß werden, die fehlt dann.“

Noch einmal wolle er nicht in den Schichtbetrieb, sagt er. „Die Aussage, dass er sich nicht bewährt hat, würde ich aber nicht unterschreiben.“ So schwer es auch war – die Entscheidung sei mit dem damaligen Kenntnisstand die richtige gewesen. „Ich habe sie nach bestem Wissen und Gewissen getroffen und mit dem Wissen von damals würde ich sie auch wieder so treffen“, sagt er. „Wir haben das ja damals auch vor dem Hintergrund gemacht, dass es noch keine klare Aussage gab, was passiert, wenn jemand im Team positiv ist. Mittlerweile wissen wir aber, dass wir laut Pandemieplanung zu den systemrelevanten Berufen gehören. Ein Weiterarbeiten wäre dann also unter bestimmten Bedingungen möglich. Das ist zumindest das, wovon ich ausgehe.“

Zwar hat auch er sich an sein Gesundheitsamt gewendet – eine klare Ansage habe er aber bisher nicht erhalten. „Deshalb halten wir uns jetzt an die Regelungen des Bundeslandes und die Empfehlungen des Robert-Koch-Insituts.“ Auch er hat die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal hochgefahren, neben Plexiglas, Maskenpflicht, Abstandsregeln und Desinfektionsmittelspendern hat auch er sich ein Lüftungssystem angeschafft und einen Lüftungsplan erstellt. „Ein halbwegs normaler Betrieb ist so – toi, toi, toi – bisher möglich.“

Ein halbwegs normaler Betrieb läuft auch gut 300 Kilometer weiter westlich in der Kölner Apotheke am Neumarkt. Auch dort will Inhaber Dr. Axel Vogelreuter mit strikten Schutzmaßnahmen einen neuen Schichtbetrieb unbedingt vermeiden. „Das wäre im Moment nicht leistbar“, sagt er. „Wenn Sie die Hälfte des Teams haben, ist das über zwölf Stunden nicht zu machen. Auch wenn die Kundenzahl geringer ist, ist es trotzdem noch zu viel.“ Die Situation war im Frühjahr Köln ähnlich: „Es ging damals darum, dass wir nicht schließen müssen, wenn jemand krank wird.“ Vogelreuter hat den Schichtbetrieb besonders lange durchgezogen: dreieinhalb Monate, von März bis Ende Juni. Bei ihm sei es organisatorisch gut gelaufen, dafür hat die lange Trennung auch dort im Team ihren Tribut gefordert. „Grundsätzlich hat es super funktioniert. Ich habe die Arbeitszeitmodelle so gewählt, dass es auch sozialkompatibel für die Mitarbeiter ist. Manche haben dadurch weniger Stunden für das gleiche Gehalt gemacht.“

Allerdings seien mit der Zeit auch bei ihm Probleme zwischen den Mitarbeitern aufgetreten. „Man merkt, dass es das Team leicht auseinanderdividiert. Das war auch einer der Hauptgründe, das Schichtsystem zu beenden. Sonst haben wir am Ende zwei Teams, die nicht miteinander arbeiten, sondern gegeneinander.“ Im Moment sei es deshalb keine Option, zum Schichtsystem zurückzukehren – es sei denn, die Lage verschärft sich wieder spürbar. Bis dahin setzt Vogelreuter stattdessen ebenfalls auf höchste Sicherheitsstandards. So müssen in seiner Apotheke alle Mitarbeiter immer FFP2-Masken tragen, auch im Backoffice. „Dadurch ist die Gefahr, dass wir bei einem Infektionsfall schließen müssen, nahezu Null.“

Ähnliche Erfahrungen haben die meisten Kollegen gemacht. Laut einer aposcope-Umfrage arbeiteten Ende Oktober nur 7 Prozent in getrennten Teams oder Schichten. Hier sind es vor allem die Apotheken in Risikogebieten, die diese Maßnahme wieder eingeführt haben (10 vs. 4 Prozent). 13 Prozent gaben an, diese Maßnahme zu planen oder in Erwägung zu ziehen. Bei 78 Prozent ist es derzeit kein Thema.